Knochenbrecher (German Edition)
Hast du ja auch nicht nötig.«
»War’s das? Ich muss wieder rein.«
»Das war’s erst einmal. Ich mach jetzt Feierabend. Kannst du mir einen Gefallen tun? Ich hab Mona verloren.«
»Die kann ich in der Menge auch nicht finden, tut mir leid.«
»Aber du kannst The Low Sparks of High Heeled Boys auflegen.«
Kaum hatten sich die ersten Takte einen Weg durch den Zigarettennebel auf die Tanzfläche gebahnt, tauchte Mona aus dem gärenden Teig auf und arbeitete sich mit kräftigen Schwimmbewegungen bis zu Steve Winwood vor. Sie riss die Arme in die Höhe und begann, sich zu dem für Rockmusik untypischen Rhythmus um eine imaginäre Achse zu drehen. Greven liebte diese Bewegung. Er stand oben bei Sven und sah ihr eine Weile zu. Schon immer war sie vernarrt in dieses Stück gewesen und hatte nie widerstehen können, wenn es zum Tanz aufforderte. Und sie war nicht die Einzige. Beim Refrain wurde es eng auf der kleinen Tanzfläche. Auch einige alte Freunde tauchten im Rotlicht auf. Gisela und Rainer, inzwischen beide Lehrer, kannte er ebenso aus seiner gymnasialen Zeit wie Roger, nun Hals-Nasen-Ohrenarzt, und Melitta, nun Apothekerin. Schon einmal waren sie sich bei Meta über den Weg gelaufen und hatten sich ausgiebig über das Leben in der Provinz unterhalten.
Viel interessanter fand Greven jedoch einen unübersehbar großen und beleibten Mann, der am Rande der Tanzfläche den Rhythmus aufnahm: Manfred Garrelt. Ein alter Stammkunde, ein Kleinkrimineller, dem schwer etwas nachzuweisen war, ein gerissener Trickdieb, der eBay ebenso geschickt zu nutzen wusste wie die konventionellen Anzeigenblätter, um seine Fallen zu stellen. Bei Verhören, hatte Greven sein Kollege Pütthus erzählt, mimte er gekonnt den Ahnungslosen, Gutmütigen und geistig etwas Schwerfälligen. Garrelt schien nicht unbeliebt zu sein, Gäste grüßten ihn, klopften ihm auf die Schulter. Wie ein schwerer Tampen ragte sein Bauchwulst über den Gürtel und folgte dem Wippen seines Besitzers mit leichter Verzögerung. Greven wollte sich gerade wieder Mona zuwenden, als sich ihre Blicke trafen. Sofort stellte Garrelt das Wippen ein. Nur sein Bauch federte einen Moment nach. Dann drehte sich der Dicke um und tauchte in den Menschenteig ein, als sei er klein und drahtig. Sein Ziel war offenbar der Haupteingang.
Greven überlegte kurz, welche Bedeutung er dieser spontanen Flucht beimessen sollte, dann wühlte er sich zur nur wenige Meter entfernten Hintertür. Als er den Vordereingang erreichte, schloss Garrelt gerade sein Auto auf, einen Mercedes Sprinter. Nach einem kurzen Blick auf seinen Verfolger schwang er sich auf den Fahrersitz. Greven bekam zwar noch die Tür zu fassen, doch in diesem Augenblick startete Garrelt den Motor, haute hörbar den Gang rein und trat aufs Gas. Das Türblatt glitt aus Grevens Fingern, der Inhalt einer mittelgroßen Pfütze landete auf seiner Jeans. Ohne Licht verschwand der Lieferwagen in Richtung Westermarsch. Einige Mitglieder der Menschentraube, die sich wie immer vor dem Haupteingang gebildet hatte, lachten oder johlten. Greven zückte sein Handy.
Nach einem mäßig erfolgreichen Umweg über die Toilette kehrte Greven zur Tanzfläche zurück. Sven nickte ihm freundlich zu, anscheinend froh, Monas Geschmack ein weiteres Mal getroffen zu haben, denn sie tanzte, nun deutlich ausgelassener, zu Do What You Like von Blind Faith. Außer der Traube vor dem Eingang schien niemand den kleinen Zwischenfall bemerkt zu haben, und Greven dachte dort weiter, wo er vor Garrelts Flucht aufgehört hatte, um ihm zu folgen. Das war ein Fehler gewesen, entschied er. Ihn hier gesehen zu haben, hätte ausgereicht, um ihn auf die Liste der für den Fall vielleicht Relevanten zu setzen. Wahrscheinlich jedoch hatte Garrelt sich aus ganz anderen Gründen aus dem Matsch gemacht, der nun auf Grevens Jeans trocknete. Wahrscheinlich hatte er nur einen Blick in seinen Lieferwagen verhindern wollen, was ihm ja auch gelungen war.
Wenn ihn die Kollegen jetzt irgendwo anhalten, wird die Kiste leer sein und Garrelt gekonnt eine Ausrede für seinen übereilten Aufbruch vortragen, dachte Greven. Andererseits, auch wenn er die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch einstufte, war Garrelt durchaus ein Kandidat für das Streichholzbriefchen. Er wohnte in Visquard, der Weg von Norddeich in sein Heimatdorf führte über Greetsiel. Als Täter kam er jedoch nicht in Frage. Nicht bei der Figur.
Greven nahm noch einmal gestikulierend Kontakt mit Sven auf, der
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