Knochenbrecher (German Edition)
Frau Bogena tut mir so leid. Auf ihrem Gebiet war sie ein Genie. Und dass ausgerechnet du …?«
»Es war für mich auch das erste Mal. Wenn man von dem ein oder anderen Mordversuch auf mich absieht«, sagte Greven.
»Was willst du über sie wissen?«
»Eigentlich nichts«, erklärte Greven, »denn ich kannte sie schon als Kind. Aber soweit ich weiß, hat sie noch eine Schwester …?«
»Almuth. Aber die reden seit ewigen Zeiten kein Wort miteinander. Die konnten sich nie ausstehen.«
»Ich wusste, da war doch was. Weißt du, wo sie wohnt?«
»In Marienhafe. Die Adresse kann ich dir geben. Doch es ist nicht die Richtige für dich, denn Almuth Bogena hat sich auf Wunder spezialisiert«, lächelte Aline.
»Sag bloß, die arbeitet im selben Gewerbe?«
»So könnte man das ausdrücken. Nur gibt es bei Almuth keine sensiblen Griffe ins Kreuz, sondern echte Magie.«
»Warst du mal bei ihr?«
»Wo denkst du hin?! Ich meine: Was denkst du von mir?«
Greven wich ihrem Blick nur kurz aus, sah sie wieder an und sagte: »Woher hast du deine Informationen?«
»Von einer Freundin, die an MS leidet. Ich habe ihr schon mehrfach abgeraten, aber sie schwört, dass Almuth Bogena ihr hilft.«
»Weißt du, wie alt sie ist?«
»Noch keine vierzig.«
»Ich meine die Bogena.«
»Sie ist deutlich jünger als Hedda. So um die sechzig, aber unglaublich fit«, antwortete Aline.
»Kennst du noch mehr Knochenbrecher?«
»Alle kenne ich natürlich nicht, aber fünf oder sechs schon. Da wäre Ulf Frerichs in Hagermarsch, Herbert Cassens hier in Aurich, Hermine Müller in … Dornum, Erich Visser in Canhusen und ein Wiebrands in Esens. Und in Wiesmoor muss es auch noch einen geben. Aber wie gesagt, das sind bestimmt nicht alle. Glaubst du, einer von denen war’s?«
»Ich muss zumindest auch an diese Möglichkeit denken«, antwortete Greven. »Ich kenne das Gewerbe zu wenig.«
»Dann solltest du dir den einen oder anderen Termin geben lassen«, schlug Aline mit ironischem Unterton vor. »Um Almuth Bogena wirst du wohl kaum herumkommen.«
»Das will ich auch gar nicht«, nickte Greven. »Du kannst mir einen großen Gefallen tun. Da du ja immerhin einige aus der Knochenbrecherzunft kennst, und diese Zunft in den Gelben Seiten und im Internet nicht so leicht zu finden ist: Vielleicht kannst du mir eine Liste zusammenstellen. Hör dich ein bisschen um, frag deine Kunden.«
»Wenn du mich nicht für eine Patientin all dieser Scharlatane hältst, ist das kein Problem«, antwortete Aline mit kritischem Blick. »Nur weil ich zu alternativen Heilverfahren ein anderes Verhältnis habe als du, renne ich noch lange nicht zu jedem Handaufleger.«
»Keine Sorge«, versicherte Greven, »aber du hast nun mal einen Draht zu der Szene, den ich nicht habe.«
Aline entließ ihn mit gemischten Gefühlen, die sich deutlich in ihrem Gesicht abzeichneten. Er nahm sie in die Arme und drückte sie.
Da Greven noch ein Buch besorgen musste, kam er ein paar Minuten später noch einmal an ihrem Geschäft vorbei. Aline stand vor dem Hintereingang in der schmalen Lohne, die zu einem kleinen Teeladen führte, und rauchte mit ernster Miene eine Zigarette. Obwohl Greven kurz stehen blieb, bemerkte sie ihn nicht. Kraftvoll blies sie den Rauch aus der Nase. Ihre Figur war drahtig und durchtrainiert. Rauchen und Fitnessstudio waren für sie kein Widerspruch.
8
Dreimal musste Greven den Klopfer aus blankpoliertem Messing betätigen, ehe sich die die grüne Holztür öffnete. Als Almuth Bogena aus dem Dunkel des Flurs heraustrat, wich Greven unwillkürlich einen Schritt zurück. Vor ihm stand das jüngere Ebenbild von Tante Hedda. Das gleiche Gesicht, die gleichen grauen Haare, die gleichen blauen und wachen Augen. Nur das Kleid hatte einen deutlich moderneren Schnitt. Greven zückte seinen Ausweis, stellte sich so höflich wie möglich vor und kondolierte ihr.
»Ich habe ein paar Fragen, wie Sie sich denken können.«
»Und ein kaputtes Knie«, entgegnete Almuth Bogena trocken, drehte sich um und schlurfte in viel zu großen Hausschuhen in den Flur zurück. Greven schloss die Tür und folgte ihr. Der Raum, in dem sie ankamen, war abgedunkelt und mehr Kuriositätenkabinett als Museum. Offensichtlich hatte Frau Bogena ein Faible für ausgestopfte Tiere. Auf einer Anrichte stand ein Mungo, mit einer Schlange kämpfend. An den Wänden hingen Fasanen, Eulen und Hasen. Das größte Exponat war ein Fuchs, der ungemein lebendig wirkte und seinen Kopf nach
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