Knochenbrecher (German Edition)
strapazierte Plan B. Noch nie gehört? In unserem Fall heißt das: Durch nichts irritieren lassen und weiterermitteln!«
Das Geräusch der sich öffnenden Tür ließ das Trio die Köpfe heben. Jaspers stand mit einem Stapel Akten vor ihnen und wusste nicht so recht, was er von der kleinen Versammlung halten sollte.
»Hab ich was verpasst?«
»Plan B«, antwortete Häring.
In diesem Augenblick meldete sich einer der Telefonapparate mit standardisiertem, elektronischem Klingelton. Häring, auf der Tischkante sitzend, angelte sich den Hörer, meldete sich und hörte eine Weile nur zu. Dann wiederholte er den Namen des Anrufers: »Ulf Frerichs, Dornumergrode, Störtebekerweg 1. Ja, wir kümmern uns um alles. Machen Sie sich keine Sorgen. Ja, ja … auf Wiederhören.«
»Der Nächste?«, fragte Greven und stand vorsorglich auf. Ackermann erhob sich ebenfalls, wenn auch nicht ganz so schnell.
»Eher der Erste«, antwortete Häring und blieb sitzen.
»Er bittet um Personenschutz«, riet Greven.
»Aber mit Nachdruck. Er hält sich für eine Art bedrohter Spezies, seit er heute Morgen die Zeitung gelesen hat.«
»Da haben wir den Staub«, sagte Greven. »Umso besser, dass wir uns für Plan B entschieden haben. Ich werde also Herrn Frerichs gleich mal einen Besuch abstatten. Ihr haltet euch für die nächsten Kandidaten bereit. Falls sie sich nicht freiwillig melden, lost die Namen aus. Peter hat die Liste. Wir sehen uns hier um … spätestens vierzehn Uhr wieder.«
Kaum hatte sich die Tür hinter Greven geschlossen, richtete Jaspers eine Frage an seine Kollegen, die ihn seit gut zehn Minuten quälte: »Was ist eigentlich dieser Plan B?«
Greven fuhr über Westerholt und Dornum nach Dornumergrode. Fast die ganze Strecke war wie mit dem Lineal durch die Geest gezogen, immer Richtung Norden auf die Küste zielend, wo die großen Gulfhöfe standen. In einem der größten von ihnen hatten sie, als das Abitur fast schon in Reichweite gewesen war, auch die größten Partys gefeiert. Bei Didi, dessen Vater nicht nur Landwirt, sondern auch MdB und daher gelegentlich außer Haus gewesen war. Das riesige Wohnzimmer konnte spielend mit dem von Herbert Cassens konkurrieren. Jedenfalls in seiner Erinnerung, die ihn dazu verleitete, nach dem Hof zu suchen, als er Dornumergrode erreichte. Nicht nur die Größe des Wohnzimmers machte die Partys zu Ereignissen, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten, es waren eine ganze Reihe von Faktoren wie die feudale Ausstrahlung des Hauses, die unübersichtliche Anzahl der Zimmer, in die man sich bei Bedarf zurückziehen konnte, oder die mehr als gute Verpflegung, die es sonst auf keiner Party gab. Gebratene Hähnchen und Buletten im Überfluss, ganz zu schweigen von Bier und Martini, für einige Zeit eine Art Modegetränk. Der Clou aber war die Musikanlage, die größte, die er bis dahin gesehen und gehört hatte. An die Marke konnte er sich nicht mehr erinnern, nur an den satten, warmen Klang, der sich wohltuend von dem Geschepper und Gekrächze unterschied, das die meisten ihrer Anlagen von sich gegeben hatten, sobald Verstärker und Boxen ihre Grenzen erreicht hatten. Noch dazu verfügte Didi über ältere Geschwister, die wiederum über eine stattliche Schallplattensammlung und eine Lichtorgel verfügten.
Zwar war bei Didi auch heftig über neue Flugblattaktionen und die richtige Richtung diskutiert worden, die jener seines Vaters diametral entgegengesetzt war, doch war dies meist ein kleiner Zirkel gewesen, der damals ohnehin nichts anderes mehr zu tun zu haben schien. Ob auf dem Schulhof, in der Borke , beim Konzert einer bretonischen Folkband in der Aula der Spietschule oder eben auf Partys (die noch nicht Feten hießen): Die Befreiung portugiesischer Kolonien in Afrika oder die Situation in Chile hatte für einige Gesichter immer Vorrang. Einigen dieser Allespolitisierer gelang es mühelos, im Prinzip Gleichgesinnten binnen weniger Minuten ein schlechtes Gewissen zu verpassen und ihnen einzureden, zu wenig zu tun und somit unbemerkt und schleichend zum Komplizen rechter und imperialistischer Kräfte zu werden. Auch Greven hatte einige Zeit auf dieser Leimrute verbracht, bevor er sich aus den rhetorischen Fallen hatte befreien können. Zwei Gesichter tauchten vor ihm auf, deren Namen er vergessen hatte, von denen er aber gerne gewusst hätte, was sie heute propagierten und taten.
Ein anderes Gesicht erschien, an das er ebenso lang nicht mehr gedacht hatte: Katja. Aus der
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