Knochenbrecher (German Edition)
am Nachmittag zugenommen hatte und rund um das frei stehende Haus eine Vielzahl von Instrumenten fand.
Der Wirt sprach kein Wort, sah ab und zu auf und polierte weiter seine Gläser. Halb neun. Greven hasste das Warten in solchen Situationen, die ihm nicht fremd waren. Man wusste nicht, auf wen man wartete, und was sich hinter der Einladung verbarg. Man wusste nicht einmal, ob der Informant überhaupt noch lebte oder ob die Einladung nicht das Produkt eines notorischen Witzbolds war, der sich längst irgendwo auf die Schenkel klopfte. Greven wusste nur, dass es besser war, einer solchen Einladung zu folgen, um keine Chance zu verpassen. Aber länger als bis neun wollte er nicht warten, obwohl auch das zweite Pils außergewöhnlich gut schmeckte. Ohne lange nachzudenken schob er es der Ermittlungsarbeit in die Schuhe, trank es also aufgrund einer klaren dienstlichen Indikation, als Tarnung, um sich der Umgebung perfekt anzupassen. Prost.
Als er das Glas abgesetzt hatte, sprang die Tür auf und ließ frischen Wind in den Raum. Ihm folgte ein etwa fünfzigjähriger Mann in bäuerlicher Kleidung und klobigen Schuhen, der ihm einen kurzen Blick zuwarf und den Wirt mit dem immer passenden »Moin« grüßte. Ohne eine Bestellung abgegeben zu haben, setzte sich der neue Gast an den ersten Tisch und wartete wortlos auf das Bier, das ihm der Wirt unaufgefordert brachte. Ein paar plattdeutsche Standardsprüche über das Wetter und das persönliche Befinden wurden ausgetauscht, dann kehrte wieder Ruhe ein. Der neue Gast senkte seinen Blick auf die Schaumkrone, die er lange Zeit anstarrte wie ein Wahrsager seine Kristallkugel. Der Wirt hatte noch ein Glas gefunden, das er spülen konnte. Vielleicht spülte er auch ein frisches, weil er es ohne Spülen hinter seinem Tresen nicht aushielt.
Greven leerte das zweite Glas. Kinderteller war kein schlechter Ausdruck. Trotz abwehrender Handbewegung kam der Wirt kurz darauf an seinen Tisch und stellte ein drittes Glas hin. Auch der neue Gast erhielt Nachschub. Das Geschäft ging gut an diesem Abend.
Wieder fuhren Lichtkegel durch den Raum. Auch auf der Straße, die vor dem Haus vorbeilief und für den Durchgangsverkehr gesperrt war, schien die Rushhour einzusetzen. Viertel vor neun. Greven begann, die Wirkung des Alkohols zu spüren. Er hatte seit dem Teekuchen nichts mehr gegessen und war aus der Übung. Draußen hatte sich der Ostwind ein loses Brett oder einen Fensterladen vorgenommen.
Der unbekannte Gast hatte sein zweites Glas geleert, erhob sich langsam von seinem Stuhl, rief dem Wirt einen kurzen Abschiedsgruß zu und verschwand, ohne Greven mit einem Blick zu würdigen oder zu zahlen. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, kam der Wirt an seinen Tisch und setzte sich neben ihn. Greven sah auf die Uhr.
»Das war Jan Wübben, der kommt jeden Abend. Den musste ich unbedingt noch abwarten. Er war heute spät dran, tut mir leid. Außerdem wollte ich Sie noch ein bisschen kennen lernen. Hermann Hoogestraat.«
Greven sah dem Wirt erstaunt in die Augen und betrachtete das runde, gut rasierte Gesicht, das ihm auf der Beerdigung nicht aufgefallen war: »Sie haben den anonymen Brief geschrieben?«
»Das war kein anonymer Brief. Ich habe ihn unterschrieben, wie es sich gehört«, entgegnete der Wirt mit spürbarer Empörung.
»Aber nur mit Ihrem Vornamen.«
»Das reicht in meinem Falle aus. Zum Funker und Hermann. Das kennt doch jeder. Und Sie stammen doch aus Greetsiel. Das stand neulich sogar in der Zeitung.«
»Lassen wir das«, lenkte Greven ein. »Sagen Sie mir lieber, was Sie über die beiden Morde wissen.«
»Aber nur, wenn Sie meinen Namen da raushalten. Die Information ist streng vertraulich«, forderte der Wirt mit gedämpfter Lautstärke. »Ich sage es Ihnen auch nur, weil ein paar Freunde von mir große Stücke auf Sie halten und ich Hedda gemocht habe.«
»Von mir erfährt niemand etwas«, versicherte Greven.
Der Wirt rutschte mit dem Stuhl ein paar Zentimeter an Greven heran, den langsam das Gefühl beschlich, mitten in die Dreharbeiten eines B-Pictures geraten zu sein.
»Haben Sie einen Arzt in der Familie oder zum Freund?«, fragte der Wirt.
»Wie kommen Sie jetzt darauf?«
»Haben Sie?«
»Ich muss Sie enttäuschen«, log Greven prophylaktisch.
»Dann können Sie es auch nicht wissen.«
»Was nicht wissen?«
»Die Verschwörung der Schulmediziner gegen die Knochenbrecher und Heiler«, hauchte der Wirt, als gäbe er ein Staatsgeheimnis
Weitere Kostenlose Bücher