Knochenbrecher (German Edition)
wieder verschwunden.«
»Mit den Ringen«, warf Mona ein.
»Nicht einmal das wissen wir zuverlässig. Die Ringe kann auch jemand anders am Vortag aus uns unbekannten Gründen abgeholt haben. Auch das Etui …«
»Wir sind da«, unterbrach ihn Mona. Vor ihnen ragte der massige Störtebekerturm der Kirche von Marienhafe auf, der seinen Namen einem ostfriesischen Nationalhelden verdankte, der ihn sich im 15. Jahrhundert als Zuflucht ausgewählt hatte. Den Wagen parkten sie fast ordnungsgemäß direkt vor der Kirche auf dem Marktplatz.
Diesmal waren sie pünktlich und fanden in einer der hinteren Reihen Platz, die ihnen eine gute Sicht auf die Anwesenden gewährte. Greven begann sofort mit der Bestandsaufnahme. In unmittelbarer Nähe der Kanzel entdeckte er Klaus Bogena und seine drei Verwandten, die er schon auf Tante Heddas Beerdigung gesehen hatte. Waren deren Gesichter wie versteinert, wirkte Klaus Bogena sehr gefasst, ähnlich wie beim letzten Mal. Greven schätzte ihn als einen von jenen Menschen ein, die keinen Blick in ihren Weltinnenraum zuließen. Bogenas nichtssagender Ausdruck war nur eine Maske, hinter der er sich versteckte. Vielleicht hatte er sich diese emotionslos wirkende Fassade durch seinen Beruf antrainiert, um Rollenkonflikten aus dem Weg zu gehen? Greven wühlte im halbherzig gelernten Stoff einer Fortbildung über Gruppendynamik, die Jahre zurücklag. Viel war nicht hängen geblieben.
Zu Almuths Beerdigung waren etwa ebenso viele Menschen erschienen wie zu Heddas, nur dass Greven in Marienhafe kaum jemanden kannte. Wie viele der Anwesenden wohl einen der Ringe von Almuth erstanden hatten oder hatten erstehen müssen? Er taxierte ein Gesicht nach dem anderen und traf schließlich doch auf ein bekanntes. Neben einer ebenfalls tendenziell indisch gekleideten jungen Frau saß Frerichs, von dem er lediglich das Profil sehen konnte. Nur zwei Plätze neben ihm fuhr sich eine Frau mit der Hand durchs Haar, die er von einem Foto her kannte: Simone Cassens, die seit sechs Wochen im Marienhafer Exil lebte.
Die Trauerrede des Pastors war distanziert und kühl, aber nicht abwertend. Greven vermutete, dass er mit seiner Charakterisierung der Ermordeten den Nagel auf den Kopf traf. Klaus Bogena verzog keine Miene, sang unengagiert, aber mit deutlichen Lippenbewegungen das verordnete Kirchenlied und half seinen Verwandten, sich von der harten Kirchenbank zu erheben, als der Gang zum Friedhof angetreten wurde. Frau Cassens ging unmittelbar hinter ihm, Frerichs folgte im Mittelfeld der Trauergemeinde. Mona und Greven reihten sich in die Nachhut ein.
Während des üblichen Rituals vor dem Grab huschte Grevens Blick noch einmal durch die Reihen, ohne an einem Gesicht hängen zu bleiben. Nur Frerichs schien ihn zu erkennen und nickte ihm mit ernster Miene zu. Klaus Bogena wirkte wie geistesabwesend, während sich seine Gefolgschaft hinter altmodischen Stofftaschentüchern verbarg. Der Pastor sagte seinen Standardspruch auf, schüttelte verschiedene Hände und verschwand. Gerade noch hatte er Staub zu Staub befohlen, da wurde dieser auch schon wieder aufgewirbelt. Vor dem Friedhof warteten nämlich schon die Geier in Gestalt mehrere Pressefotografen, die es keineswegs nur auf Klaus Bogena und seine Begleitung abgesehen hatten, sondern zu Grevens Überraschung auch auf den ermittelnden Kommissar. Kaum hatten sie einige Bilder der letzten Bogenas geschossen, richteten sich die Objektive auf ihn. Greven hatte noch immer das laute Klicken der Verschlüsse im Ohr, das früher jeden Pressetermin akustisch begleitet hatte, doch die jahrzehntelang typischen Geräusche der Zunft blieben dank neuer Technik aus.
»Haben Sie schon eine Spur des Serienmörders?«, war die erste Frage, die ein junger Blonder in die Menschentraube warf, in der auch Mona und Greven steckten.
»Es gibt keinen Serienmörder«, antwortete Greven. »Sondern nur zwei Mordfälle, zwischen denen wahrscheinlich eine Verbindung besteht.«
»Werden Sie dem Serienmörder eine Falle stellen?«, war die nächste Frage eines der Journalisten.
»Hat es der Serienmörder nur auf Knochenbrecher abgesehen?«, wollte der nächste wissen.
Grevens Wiederholung seiner Antwort ging in einer anschwellenden Diskussion unter, entfacht von einigen Mitglieder der Trauergemeinde, die sich am Auftritt der Journalisten störten. Mona und Greven nutzten diese Gelegenheit, um sich an einigen aufgeregten älteren Damen vorbei, die ihre Schirme bereits fest im Griff hatten,
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