Knochenbrecher (German Edition)
Zeit.«
»Keine Sorge, mit Verschwörungen kenne ich mich aus«, bemerkte Greven, rief dem Wirt noch »Danke« und »Tschüss« zu und freute sich auf den Ostwind, der ihn draußen auch gleich mit einer kühlen Böe umarmte. Die Lichtreklame über der Tür, auf der neben einer Biermarke der Name der Kneipe stand, flackerte. Wie passend, dachte Greven und versuchte die Nachricht zu decodieren. Doch die kaputte Neonröhre beherrschte das Morsealphabet nicht, das gar nicht von Samuel Morse stammte. Schon nach den ersten Buchstaben war klar, dass das aufleuchtende Gas nur Unsinn von sich gab.
Vor dem Auto angekommen, suchte er nach einem geeigneten Rückweg. Denn nach dem Aquavit, den er aus psychohygienischen Gründen hatte trinken müssen, wollte er sich nicht den Fragen bestimmter Kollegen stellen. Ein Kaffee wäre jetzt das Richtige. Und noch ein bisschen Zeit, um den Alkohol abzubauen. Über Norddeich wollte er sowieso fahren, um auf die B 72 zu gelangen. Warum also nicht kurz bei Meta reinschauen. Die Schleichwege kannte er noch aus Schülerzeiten, auch wenn sich inzwischen viel verändert hatte.
Die Veränderung hatte auch Meta selbst erreicht. Rund um das einst freistehende Haus wuchsen Mauern in den Nachthimmel, über den der Ostwind Wolken trieb, deren Umrisse er nur mit Mühe erkennen konnte. Viel war nicht los an diesem Abend. Auf der Tanzfläche zappelten lustlos zwei Teenager, beobachtet von einer Handvoll Unentschlossener. Nur wenige Plätze waren besetzt, die Theke fast leer, hinter der Sven stand. Die Musik hatte er einem jungen Kollegen überlassen, der sich für nicht mehr ganz frische Techno-Beats entschieden hatte. Greven schwang sich auf einen der Hocker an der Theke und nickte Sven zu.
»Im Dienst?«, rief der Barkeeper, Gläser polierend wie sein Kollege aus Utlandshörn.
»Jetzt nicht mehr!«, antwortete Greven.
»Dann mach ich dir ein Bier! Auf Kosten des Hauses!«
»Danke, aber was ich jetzt brauche, ist ein Kaffee!«
»Also doch im Dienst?!«
»Nein!«
»Nicht doch lieber ein Bier?!«
»Wirklich nicht, ich habe gerade im Dienst schon drei getrunken! Und einen Aquavit!«
»Neue Dienstvorschrift?«
»Du bist wie immer gut informiert!«, rief Greven gegen die wummernden Bässe an.
Als Sven den Kaffee brachte, gab ihnen die Ballade, die die Techno-Beats abgelöst hatte, die Gelegenheit, sich etwas moderater zu unterhalten.
»Deine Ermittlungen haben die Nachfrage nach den Streichhölzern ganz schon angeheizt«, erzählte Sven. »Plötzlich will jeder so ein Teil haben. Ich habe schon fast keine mehr. Wenn das so weitergeht, tauchen die ersten bald bei eBay auf.«
»Gut möglich. Gib mir lieber noch ein oder zwei mit«, sagte Greven. »Hast du sonst noch was gehört? Du hast doch immer ein Ohr an der Szene.«
»Wieder im Dienst? Dann kann ich dir ja doch ein Bier machen.«
20
»Jetzt fängst du auch noch damit an«, beschwerte sich Greven. Außerdem konnte er einen Aktendeckel mit einer Aussage im Fall Weber nicht finden. Schon zum zweiten Mal stellte er seine Schubläden und den noch gar nicht so großen Aktenhügel auf seinem Schreibtisch auf den Kopf.
»Warte es doch erst mal ab«, beruhigte ihn Häring. »Du weißt ja gar nicht, worauf ich hinaus will.«
»Verschwörungstheorie. Ich kann das Wort nicht mehr hören. Dieser ganze Mist, der da im Internet vor sich hin stinkt. Hinter allem stecken die Illuminaten, die Freimaurer, die Juden sowieso, Außerirdische sind natürlich auch dabei, denn die arbeiten ja schon seit Jahren mit den Geheimdiensten zusammen. Alle wollen diese neue Weltordnung errichten, die Welt beherrschen, die Welt zerstören, die Welt an die Unterirdischen oder eklige Echsenmenschen verschachern. Du warst doch auch bei diesem Vortrag von dem Soziologen aus Hamburg. Die letzten Nazis hausen seit 1945 irgendwo unter der Antarktis und bauen dort fliegende Untertassen für ihre Rückkehr, und die Amis sind nie auf dem Mond gelandet, sondern nur in den Disneystudios. Wo ist denn nur dieses verfluchte Protokoll?! Ich hab es doch letzte Woche noch in Händen gehabt!«
»Darauf will ich ja gar nicht hinaus«, warf Häring ein. »Warte, ich hab’s gleich.«
»Verschone mich bitte mit den neusten Forschungsansätzen über die Ursachen. Ganz gleich, ob diese Verschwörungsphantasien nun ein Phänomen der Postmoderne sind, eine Folge der Dialektik der Aufklärung oder eine Form von Paranoia, mir reicht schlicht das immer gleiche, infantile Grundmuster.
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