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Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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Utlandshörn. Bitte ohne Begleitung. Hermann.«
    »Den Zettel muss dir im Gedränge jemand in die Tasche gesteckt haben«, sagte Mona, als sie die Zeilen überflog. »Der gefällt mir gar nicht. Bei der letzten Einladung dieser Art bist du ganz schön verprügelt worden. Und dabei hast du noch Glück gehabt.«
    »Ich werde trotzdem hingehen«, entschied Greven spontan. »Wer eine so schöne Schrift hat und auch noch seinen Namen nennt, stellt keine Fallen.«
    »Nimm wenigstens Peter mit. Gerd, das sieht doch ein Blinder, dass da was faul ist. Warum verlangen solche Leute eigentlich immer, dass man alleine kommen soll? Nie heißt es: Kommen Sie bitte zu zweit. Oder: Sie können ruhig einen alten Freund mitbringen.«
    »So sind nun mal die Regeln. Keine Sorge, da will mir nur jemand einen Tipp geben und traut sich nicht aus der Deckung. Das ist alles. Vielleicht bringt uns das endlich weiter.«

 
     
     
     
    19
    Die Kneipe Zum Funker stand unmittelbar am Deich in Utlandshörn, einer stumpfen Landzunge im Norden der Leybucht. In Großbritannien trüge der Ort den Namen Land’s End. Gegenüber, am anderen Ende der Bucht, lagen Greetsiel und die Nase von Leysiel. In unmittelbarer Nähe der Kneipe hatten einst die riesigen Antennenmasten von Norddeich Radio gestanden. Der Name der kleinen Wirtschaft war also kein Zufall. Untergebracht war sie in einem alten Landarbeiterhaus, wie man es nur noch selten in Ostfriesland fand, und die Kneipe daher entsprechend klein, ein niedriger Gastraum mit einem Tresen und drei Tischen, von denen keiner besetzt war. Diese Kneipe am Ende der ostfriesischen Welt musste man kennen, um hier ein Bier trinken zu wollen. Touristen kamen also kaum in Frage.
    Hinter dem kurzen Tresen stand ein Mann um die Siebzig mit einer Kapitänsmütze auf dem runden Kopf, wie sie auch der alte Ysker trug. Im breiten Mund steckte eine selbstgedrehte Zigarette. Seine schwarze Kordhose wurde von Hosenträgern gehalten, deren Grau sich deutlich vom Blau des Hemdes abhob. Die Ärmel hatte der Wirt hochgekrempelt, denn er war dabei, ein paar Gläser zu spülen. Offenbar waren kurz vor Grevens Erscheinen ein paar Gäste gegangen.
    »Moin!«, rief ihm der Wirt entgegen. »Suchen Sie sich einen Platz aus. Noch ist alles frei. Das Pils kommt gleich, ich habe immer eins in Arbeit.«
    Damit meinte er offenbar die fast gefüllte Biertulpe, die unter dem Zapfhahn stand. Greven war im Begriff, die nie gemachte Bestellung zu reklamieren, zögerte einen Moment und setzte sich dann wortlos an den Tisch, der dem Tresen am nächsten stand.
    Mochte der Wirt noch halbwegs als Original durchgehen, die Kneipe besaß dagegen kaum Flair. Das Mobiliar war einfach, die Wände gelblich, den Gardinen sah man ihr Alter deutlich an. Hinter seinem Rücken hingen ein paar Fotos, die die Antennenmasten und einen Funkraum zeigten. An der Wand gegenüber stand eine alte Musicbox, die keinen Ton von sich gab, sofern sie überhaupt noch funktionierte. Reif für den Sperrmüll. Oder die Werkstatt eines Sammlers. Greven sah auf die Uhr. Viertel nach acht. Der Wirt stellte das Bier auf den Tisch und sagte: »Prost!«
    Greven hatte den Gedanken an seinen neuen Lebenswandel bereits verdrängt und leerte mit einem Zug das halbe Glas. Dank seiner Abstinenz schien es ihm das beste Pils zu sein, das er je getrunken hatte.
     »Ich mache gleich noch eins fertig«, kommentierte der Wirt Grevens Gedanken, als könne er sie lesen.
    »Langsam, langsam«, bremste Greven, »ich muss noch fahren.«
    »Sie sind ja gerade erst gekommen. Zwei Bier sind doch kein Problem. Außerdem habe ich ja nur Gläser mit 0,3 Litern. Kinderteller sagen die in Bayern dazu. Das hat mir mal ein Badegast erzählt. Kinderteller. Haben Sie das schon mal gehört?«
    Wenige Minuten später stand das zweite Glas auf dem Bierdeckel, den der Wirt mit einem Strich versah, obwohl diese Gedächtnishilfe bei einem einzigen Gast wohl kaum notwendig war. Nach weiteren zehn Minuten hatte Greven den Raum weitgehend in sich aufgenommen, die verstaubten Pokale, die D-Mark-Scheine, die der Wirt gerahmt und neben der Toilettentür aufgehängt hatte, den Schirmständer mitsamt dem Schirm, der aussah, als würde er schon seit Jahren darauf warten, abgeholt zu werden, die Spinnweben in manchen Ecken, die ausgetretenen Dielen, den Geruch, der Jahrzehnte konserviert zu haben schien. Ein Auto fuhr vorbei, zu hören war es nicht, aber die Lichtkegel wanderten durch den Raum. Hörbar war nur der Ostwind, der

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