Knochenbrecher (German Edition)
Als wäre die Welt der Sandkasten eines Kindergartens.«
»Wo hast du denn den Vergleich her?«
»Du weißt schon, was ich meine. Das leicht Verstehbare als Ersatz für das schwer Verstehbare. Die Rückkehr des Mythos. Hilf mir lieber suchen! Ich weiß doch genau, dass ich das Protokoll hier abgelegt habe! Es muss doch da sein!«
»Das ist es ja«, freute sich Häring und betätigte mit einer demonstrativen Handbewegung die Entertaste.
»Das Weber-Protokoll?«
»Nein, die Seite, die ich gesucht habe«, antwortete Häring. »Verschwörungsphantasien, wie du sie zu Recht genannt hast, denn von Theorie kann ja wohl kaum die Rede sein, gibt es nämlich auch im weiten Feld der Medizin.«
»Das muss mir bei dem Vortrag entgangen sein.«
»Da hätten wir, nur als Beispiel, die Germanische Neue Medizin«, las Häring vor.
»Klingt nach dunkelbrauner Esoterik.« Greven verlagerte seine Aufmerksamkeit nun doch auf Härings Fund.
»Initiator dieser, sagen wir mal, Lehre, ist ein gewisser Hamer, ein ehemaliger Arzt und studierter Theologe, der behauptet, ein Allheilmittel gegen den Krebs gefunden zu haben. Es besteht übrigens im Prinzip aus der Idee, seine diversen inneren Konflikte zu lösen und abzuwarten, bis der Krebs von allein wieder verschwindet. Ganz ohne weitere Behandlung.«
»Tatsächlich. Na, dann sind wir ja viele Sorgen los.«
»Leider nicht, denn seiner Überzeugung nach verhindern die Juden per Weltverschwörung die Anwendung des Allheilmittels, das sie natürlich selbst jedoch erfolgreich anwenden.«
»Ich wusste doch, dass die Sache einen Haken hat«, kommentierte Greven. »Die Juden sind es mal wieder. War ja auch nicht anders zu erwarten. Wer auch sonst? Das übliche Muster. Doch verlassen wir mal die Abgründe des Antisemitismus und der Weltverschwörungen, bevor ich hier noch platze. Erklär mir lieber, was dein Internetfund mit unserem Fall zu tun hat.«
»Diese medizinischen Germanen sollten, wie gesagt, nur als ein Beispiel für die vielen Verschwörungsphantasien im Bereich der Medizin dienen. Wie du dir denken kannst, quillt das Internet über von diesem Zeug. Die Blogs und Diskussionsseiten gehen in die Abertausende, auf denen sich Anhänger und Gegner mit Argumenten bombardieren. Die gehen zum Teil ganz schön aufeinander los und schrecken auch vor massiven Drohungen nicht zurück. Kein Wunder, denn nicht wenige von ihnen haben sich längst ihre eigene Welt gebastelt oder basteln lassen, eine Welt, die ohne die dazugehörige Weltanschauung sofort zusammenbrechen würde, eine hermetische, stereotype Welt …«
»… die sie auch schon mal mit gebührendem Fanatismus verteidigen. Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Es gibt zwar keine Verschwörung, aber genügend Menschen, die an eine Verschwörung glauben, an welche auch immer. Wie zum Beispiel Hermann Hoogestraat, auch wenn er wahrscheinlich nicht so ein Internetcrack ist wie du.«
»So habe ich mir das gedacht«, grinste Häring.
»Unser Täter könnte also deiner Meinung nach ein Fanatiker sein, der sich berufen fühlt, mit allen Mitteln gegen eine Verschwörung vorzugehen, in diesem Fall gegen eine Verschwörung der Knochenbrecher. Peter, sei mir nicht böse, aber das ist doch so was von absurd«, entgegnete Greven.
»Und ob das absurd ist. Aber nicht weniger absurd als die Paranoia von diesem Hamer oder anderen Heilsverkündern. Und doch gibt es genügend Leute, die an derartige Lehren und Versprechen glauben und dafür sogar auf die Straße gehen. Entscheidend ist doch nicht, was wir von diesen paranoiden Phantasien halten, sondern andere.«
»Gut, ich gebe mich geschlagen. Deine Idee würde zumindest erklären, warum wir uns mit dem Motiv so schwer tun. Sie erklärt aber nicht, was die Haare, das Streichholzbriefchen und das Brillenetui zu bedeuten haben«, argumentierte Greven.
»Die Streichhölzer und die Buchquittung hat der Täter schlicht verloren, die Haare sind eine Art Botschaft, die irgendwo in seine Weltanschauung passt, die wir nicht kennen, weshalb wir die Haare nicht einordnen können«, konterte Häring. »Und mit den Bogenas hat er angefangen, weil sie die bekanntesten Knochenbrecher Ostfrieslands waren.«
»Dann war der Einbruchsversuch bei Cassens doch keine Inszenierung?«
»Nein, und dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: ein anderer Täter. Wir suchen also nicht einen Einzeltäter, sondern eine Gruppe oder eine Art Sekte. Zweitens: Es gibt einen Einzeltäter, dem klar geworden ist, dass er sein
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