Knochenbrecher (German Edition)
Fernglas parat?«
»Moin. Hest du een in d’ Luur?«, fragte der Fischer, ohne sich über den Überraschungsbesuch zu wundern.
»So könnte man das ausdrücken.«
»Wenn dat so is. Hier in mien Huus.«
Greven folgte dem gleichaltrigen Fischer, ohne genau zu wissen, warum er Aline überhaupt beobachten wollte. Er ließ sich das Fernglas geben und nahm die beiden Frauen vom Steuerhaus des Kutters aus ins Visier. Alfred Gosselar stand neben ihm, schaute in dieselbe Richtung und kniff die Augen zusammen. Greven hatte sich nicht getäuscht, die rechte Frau war Aline. Sportlich gekleidet wie aus dem Katalog, schlank, topfit, rauchend, gestikulierend. Die andere Frau, mit der sie ein intensives Gespräch führte, war so groß wie sie und ebenfalls sehr sportlich, jedoch schlicht gekleidet und kaum oder gar nicht geschminkt. Beide lachten. Es war also kein Streitgespräch. Jetzt drehte sich Aline um und verschwand mit einer eleganten Bewegung unter Deck. Gleich darauf kehrte sie mit einer Flasche Mineralwasser zurück. Sie war also nicht zum ersten Mal an Bord. In diesem Augenblick drehten sich beide Frauen gleichzeitig um. Zwei weitere Frauen waren an Bord gekommen. Greven hatte sie nicht bemerkt. Es waren Alines Freundinnen von der Beerdigung. Die Namen waren ihm entfallen, nicht aber die Gesichter. Diverse Umarmungen folgten. Nun verschwand die unbekannte Frau unter Deck, um mit einer Flasche Sekt und vier Gläsern zurückzukehren. Aline übernahm das Öffnen, das ihr gekonnt von der Hand ging. Um keinen Knall zu provozieren, umfasste sie die Agraffe und drehte den Korken vorsichtig aus der Flasche. Sie füllte die Gläser bis zum Überlaufen, dann stießen sie an. Die Frauen lachten. Greven setzte das Glas ab und reichte es dem Fischer.
»Weißt du, wem die Tjalk gehört?«
»Der Frau mit der braunen Jacke«, antwortete der Fischer auf Hochdeutsch. »Hat die jemanden umgelegt?«
»Nein, interessiert mich nur so.«
»Genau so sah das auch aus«, meinte der Fischer.
»Kennst du die anderen drei?«
»Nie gesehen. Ich lege allerdings meisten bei der Schleuse an.«
»Weiß du, wie sie heißt?«
»Leysiel.«
Greven verkniff sich jede Reaktion.
»Keine Ahnung«, sagte der Fischer. »Ist aber ja auch völlig unwichtig.«
»Wieso?«
»Interessiert dich doch nur so.«
Greven schüttelte den Kopf, klopfte Gosselar auf die Schulter und ging wieder von Bord. Durch die Maschen des Netzes, an dem sich der Fischer zu schaffen machte, warf er nochmals einen Blick auf die Tjalk. Die Frauen waren verschwunden. Wahrscheinlich waren sie unter Deck gegangen.
22
»Hast du die Artikel?«, fragte Greven.
»Liegen längst auf deinem Schreibtisch«, antwortete Häring. »War dein Ausflug erfolgreich?«
»Welcher Ausflug?«, fragte Greven, der sich längst den Zeitungsausschnitten zugewandt hatte.
»Deine Dienstfahrt nach Greetsiel.«
»Ja, ich habe mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen.«
»Meine Theorie?«
»Meine Theorie!«
»Ist ja schon gut«, wich Häring zurück. »War ja nur eine Frage.«
Greven überflog die Artikel, verglich sie mehrmals und sortierte schließlich einen aus. Die anderen schob er zur Seite.
»Sind das wirklich alle?«
»Alle. Jedenfalls alle, die in Ostfriesland und in Oldenburg erschienen sind.«
»Lies dir das bitte einmal durch!«
Häring erhob sich von seinem Stuhl, auf den er sich gerade erst gesetzt hatte, und kam ohne Begeisterung an Grevens Schreibtisch.
»Eine Art Nachruf auf Hedda Bogena«, stellte er schnell fest. » Emder Kurier . Was soll daran Besonderes sein?«
»In allen Artikeln, die über Tante Heddas Ermordung berichten, wird ihre Schwester mit keinem Wort erwähnt. Nur in diesem hier. Der … wann erschienen ist?«
»Am Tag vor ihrer Ermordung«, bemerkte Häring. »Trotzdem kann ich dir nicht folgen.«
»Du weißt, ich misstraue dem Zufall, auch wenn die Quantenphysiker darauf bestehen. Für Elektronen mögen ihre Theorien ja gelten, nicht aber für unser Metier.«
»Du glaubst also, der Mörder hat erst Hedda umgebracht, ein paar Tage später aus der Zeitung erfahren, dass sie eine Schwester hat, und diese dann auch noch ermordet?«
»Genau das, lieber Peter, ist meine Theorie«, antwortete Greven betont langsam und sah seinen Kollegen herausfordernd an.
»Sehr unwahrscheinlich. Meiner bescheidenen Meinung nach«, sagte Häring und legte den Artikel zurück.
»Aber nicht unwahrscheinlicher als deine Verschwörungsphantasie-Theorie«, entgegnete
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