Knochenbrecher (German Edition)
Greven, wieder betont langsam.
»Da hast du leider auch wieder recht«, gab Häring nach. »War das schon alles?«
»Nein, wie du schon vermutet hast«, fuhr Greven fort. »Ich kann dir nämlich endlich auch sagen, was die Haare, das Streichholzbriefchen und das Brillenetui zu bedeuten haben!«
»Da bin ich aber gespannt.« Häring richtete sich aus seiner halb gebückten Position auf, die er über dem Schreibtisch eingenommen hatte, und lächelte erwartungsvoll.
»Nichts!«, sagte Greven fast beiläufig. »Ich weiß nicht, warum ich nicht schon eher darauf gekommen bin. Es ist genau wie in dem Film mit der Zigarette, die der Täter absichtlich zurücklässt. Obwohl und gerade weil er ein passionierter Nichtraucher ist. Der Titel fällt mir im Moment nicht ein. Du kennst ihn bestimmt. Es ist so simpel und auch nicht neu, aber es hat gut funktioniert. Oder sollte ich sagen, wieder einmal gut funktioniert, denn den Trick mit den falschen Fährten kannten schon die Indianer. Ein echter Klassiker. Er klappt nur so gut, weil wir unter dem fast schon pathologischen Zwang leiden, jedem Zeichen eine bestimmte Bedeutung zuordnen zu wollen. Vor allem wir Kriminologen natürlich.«
»Du liest zu viele Bücher«, bemerkte Häring kopfschüttelnd, »das gibt es nur in Romanen und philosophischen Traktaten. Wie heißt der noch gleich, du weißt schon, dieser Franzose, der kürzlich gestorben ist …? Bau…?«
»Von wegen, unser Mörder ist auch nicht ohne«, wehrte Greven ab. »Sein Fehler war nur, dass seine schnell hinterlassenen Pseudospuren zu kurios waren. Zu viele waren es natürlich auch. So ein Quark! Haare aus einem Friseursalon, ein Streichholzbriefchen von Meta und dieser ominöse Kassenzettel über drei Bücher. Und wir rennen auch noch hinterher wie die Pavlowschen Hunde. Viel schlimmer, ich trage das auch noch in einer mehr als peinlichen Ansprache unserer Chefin vor!«
Häring nahm wieder seine alte Haltung ein und stützte sich mit beiden Händen an Grevens Schreibtisch ab. In seinem Gesicht arbeitete Grevens Erklärung. »Du könntest recht haben, wenn ich mir das noch mal durch den Kopf gehen lasse, die Spuren sind wirklich kurios. Wirken wie unterwegs zufällig aufgelesen und in die Tasche gesteckt, um sie uns nach dem Mord als Futter vor die Füße zu werfen. Irritationsspuren. Wenn das zutrifft, hat sie der Mörder sehr wahrscheinlich gelegt, weil er befürchtet hat, dass wir sonst sehr schnell auf ihn kommen. Er wollte von einem Zusammenhang ablenken, der allzu offensichtlich ist. Gut, da kann ich dir folgen. Eine akzeptable Erklärung. Akzeptabler als deine andere, die mich nicht überzeugt. Da stimmt etwas noch nicht. Aus welchem Grund sollte unser Mörder, nachdem er aus der Zeitung erfahren hat, dass sein Opfer noch eine Schwester hat, am nächsten Morgen nach Marienhafe fahren und sie ebenfalls ermorden?«
»Das ist endlich einmal eine gute Frage«, antwortete Greven und hielt ihm den Zeigefinger der rechten Hand entgegen. »Und zugleich ist es der Beginn unserer eigentlichen Ermittlungen.«
»Gut, wenn wir von dieser Hypothese ausgehen«, folgte Häring zögerlich Grevens Gedanken, »dann hat es doch etwas mit der Familie zu tun. Da Klaus Bogena aus verschiedenen Gründen ausscheidet, er wird ja wohl kaum aus der Zeitung erfahren haben, dass er eine Mutter hat, könnte es ein uns noch unbekanntes Familienmitglied sein.«
»Das klingt schon mal ganz ordentlich«, sagte Greven ohne jede Ironie, »und würde bedeuten, dass bei Tante Hedda doch mehr zu holen ist als ein renovierungsbedürftiges Haus. Vielleicht doch das vermisste Geld. Oder etwas ganz anderes.«
»Etwas, das wir ebenso wenig kennen wie das Familienmitglied«, meinte Häring.
»Das ist nicht gesagt. Vielleicht kennen wir die Person längst und wissen nur nicht, dass sie Klaus das Erbe streitig machen will.«
»Aber wer soll das sein? Ich habe die Familie doch abgeklopft«, sagte Häring nachdenklich. »Andererseits hatten wir schon einmal mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen. Der Fall Keller.«
»Die Kusine zweiten Grades, die erst bei der Testamentseröffnung ans Tageslicht kam«, erinnerte sich Greven. »Stimmt, die hatte zwar mit dem Fall gar nichts zu tun, hat aber ihren lieben Verwandten gründlich den Spaß verdorben, weil sie mit dem Haupterbe davongezogen ist. Nicht einmal der Notar hatte von ihrer Existenz gewusst. Also gut, lass uns diese Möglichkeit in Betracht ziehen und die Familie nochmals auf den Kopf
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