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Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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nicht zu leugnen, aber meine Oma Janssen züchtet keine Ponys, sondern führt so eine Art Dorfchronik. Eine, in der Todesfälle und Krankheiten immer eine ganz besondere Erwähnung finden.«
    »Könnte meine Tante Lene sein. Die spricht auch von nichts anderem mehr und leidet an allem, was ihr medizinisches Lexikon hergibt«, meinte Häring.
    »Damit wäre sie die ideale Gesprächspartnerin für Oma Janssen«, schmunzelte Greven. »Auf dem Sektor entgeht ihr nichts.«
    »Okay, dann werde ich mich mal vorsichtig bei den Kollegen der Meldeämter melden und sehen, was sie zu melden haben«, sagte Häring und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Bevor er sich setzte, wandte er sich noch einmal nach Greven um und fragte mit ernstem Ton: »Du bist wirklich sicher, dass die Haare und die Streichhölzer Pseudospuren sind?«
    Greven hob den Blick von Dr. Weygands Mappe, sah Häring für einige Sekunden an, als hätte er gerade in der Kantine Schnippelbohnen gegessen, und wiederholte schließlich: »Acki und Jaspers nehmen sich noch mal die Familie vor, wir suchen nach möglichen Opfern.«

 
     
     
     
    23
    Oma Janssen war alt geworden. Greven hatte sie etwa zwei Jahre nicht mehr gesehen, die sich in ihrem Gesicht als mindestens fünf niedergelassen hatten. Ihr schon immer graues Haar war dünn geworden, ihre Haut schien sich in Pergament verwandelt zu haben, nur ihre Augen und ihre Stimme waren der Zeit entkommen, die auch ihr kleines Haus unterhalb der Kirche unberührt gelassen hatte. Noch immer stand die schwarze venezianische Plastikgondel auf ihrem Fernseher, noch immer züchtete sie Gummibäume, die inzwischen wahrscheinlich in jedem zweiten Greetsieler Haushalt zu finden waren. Neu war auf jeden Fall das moderne Telefon, denn bei seinem letzten Besuch war es noch ein postgraues gewesen.
    Oma Janssen zählte zu den Sammlern. Allerdings sammelte sie nicht die gängigen Objekte wie Briefmarken, Münzen, Figuren aus Überraschungseiern oder Teddybären, sondern Todesanzeigen, Zeitungsartikel und Nachrichten aller Art, solange sie Greetsiel und die Krummhörn betrafen. Was immer ihr in die Finger, Augen und Ohren kam, wurde von ihr nach einfachen, aber sinnvollen Kriterien in große Alben geklebt, die, wie es in jedem ernstzunehmenden Archiv üblich ist, auf dem Rücken entsprechende Jahreszahlen trugen. Diese Alben füllten nicht nur einen Teil ihres Wohnzimmerschranks, sondern auch den Boden ihres ohnehin schon schmalen Flurs und ihr Schlafzimmer. Jeder im Dorf, der wissen wollte, was an einem bestimmten Tag geschehen war, etwa am Tag seiner Geburt, brauchte bloß zu Oma Janssen zu gehen und erhielt Auskunft. Der Ortsvorsteher nutzte dieses Archiv ebenso, um seine wenigen Ansprachen vorzubereiten, wie der Kommandant der Feuerwehr, wenn er nach dem genauen Datum eines lange zurückliegenden Brandfalls suchte.
    Greven suchte hingegen nach Ereignissen, nach denen sich noch niemand erkundigte hatte: »Wer ist in den letzten zwei Jahren chronisch erkrankt oder im Rollstuhl gelandet? Wer hat eine Querschnittslähmung erlitten oder ist an einer Krankheit gestorben?«
    »Eine eigenartige Zusammenstellung, junger Mann«, antwortete Oma Janssen, »aber eine Aufgabe, die ich gerne für Sie übernehmen werde. Viel weiß ich bei den Krankheiten allerdings nicht. Nur, was mir so zu Ohren gekommen ist.«
    »Das freut mich sehr«, sagte Greven höflich, »aber ich habe noch eine weitere Bitte. Ihre wundervolle Sammlung betrifft ja nur die Krummhörn. Haben Sie vielleicht einen Kollegen im Brookmerland, im Norderland und in Emden?«
    »Emma Plog aus Marienhafe kann Ihnen bei den Todesfällen helfen. Die habe ich vor ein paar Jahren angestiftet, eine eigene Chronik zu führen. Wenn Sie wollen, kann ich sie auch gleich noch anrufen. In Norden weiß ich niemanden, dafür aber in Emden. Heiner Brahms. Den könnte ich auch für Sie anrufen. Schließlich sind Sie ja von der Polizei. Dabei waren Sie früher doch bei den Langhaarigen, die sich immer auf der Sielmauer getroffen haben.«
    »Tja, so kann es einem ergehen, wenn man die Haare verliert, Frau Janssen«, sagte Greven.
    »Das spielt ja nun auch keine Rolle mehr, Sie sind ja inzwischen auf der richtigen Seite«, lächelte die Witwe, deren Mann vor gut dreißig Jahren auf See geblieben war. Der Grabstein auf dem Friedhof schmückte ein leeres Grab. »Ich habe auch über Sie und Ihre Fälle sämtliche Artikel gesammelt.«
    »Dabei fällt mir ein«, fragte Greven, »sind eigentlich

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