Knochenbruch
schickte sich an, dasselbe mit mir zu machen.
»Was ist passiert?« rief er drohend. »Was machen Sie mit dem Sohn?« Seine Stimme ließ mich erschaudern. Wenn er nicht selbst eins der Gummigesichter war, hörte er sich zumindest genauso an.
Alessandro begann von seinem Sofa aus, mit müder Stimme auf ihn einzureden. Er sprach italienisch, was ich dank einer ehemaligen Freundin mehr oder weniger verstand.
»Hör auf, Carlo. Geh zurück in den Wagen. Warte auf mich. Das Pferd hat mich abgeworfen. Neil Griffon wird mir nichts tun. Geh zurück in den Wagen und warte auf mich.«
Carlo bewegte seinen Kopf hin und her wie ein verdatterter Ochse, gab jedoch schließlich nach und tat, was man ihm gesagt hatte. Drei stille Hochrufe auf die Disziplin im Hause Rivera.
»Ein Arzt ist auf dem Weg, um nach Ihnen zu sehen«, sagte ich.
»Ich will keinen Arzt.«
»Sie werden so lange auf diesem Sofa liegenbleiben, bis ich sicher sein kann, daß Ihnen nichts fehlt.«
Er grinste höhnisch. »Angst vor meinem Vater?«
»Denken Sie, was Sie wollen«, sagte ich; was er offensichtlich auch tat.
Der Arzt erwies sich schließlich als derselbe, der früher meinen Mumps, meine Masern und meine Windpocken diagnostiziert hatte. Jetzt war er alt, mit überaktiven Tränendrüsen und stockender Sprache, und seinem gegenwärtigen Patienten gefiel er überhaupt nicht. Alessandro behandelte ihn rüde und bekam dafür Höflichkeit zurück, wo er einen kräftigen Tritt verdient hätte.
»Dem Jungen ist nicht viel passiert«, lautete das Urteil. »Aber er sollte heute besser im Bett bleiben und sich morgen noch ausruhen. Das wird Sie wieder auf die Beine bringen, junger Mann, hm?«
Der junge Mann starrte ihn undankbar an und antwortete nicht. Der alte Arzt wandte sich mir zu, bedachte mich mit einem nachsichtigen Lächeln und sagte, ich solle es ihn wissen lassen, wenn der Junge irgendwelche Nachwirkungen hätte wie Schwindel oder Kopfschmerzen.
»Alter Narr«, sagte der Junge hörbar, als ich den Arzt zur Tür brachte; und als ich zurückkam, war er bereits aufgestanden.
»Kann ich jetzt gehen?« fragte er sarkastisch.
»So weit und für so lange, wie Sie wollen«, erwiderte ich.
Seine Augen wurden schmal. »Sie werden mich nicht los.«
»Schade«, sagte ich.
Nach einem kurzen, zornigen Schweigen trabte er ein wenig unsicher an mir vorbei aus dem Zimmer. Ich ging ins Büro und sah zusammen mit Margaret aus dem Fenster, während der Chauffeur geschäftig hin und her eilte und ihn auf dem Rücksitz des Mercedes bequem unterbrachte; und ohne Zeit zu verlieren oder einen Blick zurückzuwerfen, fuhr er »den Sohn« davon.
»Ist alles in Ordnung mit ihm?« erkundigte sich Margaret.
»Durchgeschüttelt, nicht erschüttert«, sagte ich schnippisch, und sie lachte. Aber sie folgte dem Wagen mit ihrem Blick, bis er nach links in die Bury Road einbog.
Am folgenden Tag blieb er zu Hause, kam aber am Donnerstag früh pünktlich zum ersten Lot wieder. Als der Wagen heranrollte, stand ich auf dem höchsten Teil des Hofs und unterhielt mich mit Etty. Die Freundlichkeit in ihrem Gesichtsausdruck verwandelte sich in die verstockte Abneigung, die sie immer zeigte, wenn Alessandro in der Nähe war, und als sie ihn athletisch vom Rücksitz springen und entschlossen auf uns zukommen sah, fiel ihr etwas ein, das dringend in einer der Boxen weiter unten erledigt werden mußte.
Alessandro quittierte ihre Flucht mit einem verachtungsvollen Zucken seiner Lippen, das sich zu meinem Verdruß zu einem höhnischen Grinsen ausweitete, bevor er mich begrüßte. Er hielt mir eine flache Blechdose hin, die genauso aussah wie die, die er mir einige Tage zuvor gegeben hatte.
»Botschaft für Sie«, sagte er. Seine ganze Großspurigkeit war wieder da, und zwar fortissimo , und ich hätte auch ohne die Dose gewußt, daß er noch einmal mit seinem Vater gesprochen hatte. Seine Bosheit hatte sich neu aufgeladen wie eine Batterie, die man ans Stromnetz angeschlossen hatte.
»Wissen Sie denn diesmal, was in der Dose ist?«
Er zögerte. »Nein«, sagte er. Und diesmal glaubte ich ihm, denn seine Unwissenheit schien ihn zu ärgern. Die Dose war mit einem Klebestreifen umwickelt. Alessandro sah mich mit unverändert überlegenem Grinsen an, während ich den Streifen abriß. Ich rollte ihn mit den Fingern zu einem kleinen, klebrigen Ball zusammen und steckte ihn in die Tasche; dann öffnete ich vorsichtig die Dose.
Zwischen zwei dünnen Baumwollschichten lag wieder ein
Weitere Kostenlose Bücher