Knochenbruch
legte und Carlo den Reißverschluß der Reisetasche öffnete.
Er holte nichts Bedrohlicheres daraus hervor als zwei schmale Ledergürtel mit Schnallen. Einen von ihnen reichte er Cal, und ohne mir auch nur die leiseste Hoffnung auf eine Flucht zu gestatten, drehten sie mich mit dem Rücken zum Zaun und banden jeder eins meiner Handgelenke an das hölzerne Geländer.
Es schien nicht weiter schlimm zu sein. Es war nicht einmal unbequem, da das Geländer kaum mehr als hüfthoch war. Die Art, wie sie mich fesselten, wirkte ganz einfach routiniert – ich konnte nicht mal meine Hände in den Riemen bewegen, ganz zu schweigen davon, daß ich sie hätte herausziehen können.
Sie traten zurück, hinter Enzo, und das Sonnenlicht warf meinen Schatten auf den Boden vor mir … Einfach ein Mann, der sich auf einem Abendspaziergang gegen einen Zaun lehnte.
Ein Stück weiter weg, zu meiner Linken, konnte ich die Autos sehen, die über die Eisenbahnbrücke auf die Norwich-Straße fuhren, und noch ein Stück dahinter, in Richtung Newmarket zu meiner Rechten, konnte man immer wieder etwas von dem stadteinwärts und stadtauswärts rollenden Verkehr erblicken.
In der Stadt, in der ganzen Umgebung, wimmelte es von Tausenden von Besuchern des Guineas-Rennens. Sie hätten ebensogut auf dem Südpol sein können. Dort, wo ich stand, war keine Seele in Schreiweite.
Nur Enzo und Carlo und Cal.
Ich hatte Cal bei seinen Bemühungen an meinem rechten Handgelenk beobachtet, aber als sie fertig waren, bekam ich den Eindruck, daß es Carlo war, der mich rauher behandelt hatte.
Ich wandte den Kopf um und begriff, warum ich diesen Eindruck hatte. Er hatte meinen Arm irgendwie über die Kante des Geländers gedreht und so festgebunden, daß meine Handfläche halb nach hinten zeigte. Ich konnte die Spannung spüren, die langsam bis hinauf in meine Schulter zu spüren war, und glaubte zuerst, daß dies auf ein Versehen seinerseits zurückzuführen sei.
Dann erinnerte ich mich mit unwillkommener Klarheit an etwas, das Dainsee gesagt hatte: Die einfachste Möglichkeit, einen Knochen zu brechen, ist es, ihn zu verdrehen, ihn unter Spannung zu stellen.
O mein Gott, dachte ich – und krümmte mich innerlich.
14
Ich sagte: »Ich dachte, solche Dinge seien mit dem Mittelalter ausgestorben.«
Enzo war nicht in Stimmung für schnodderige Bemerkungen.
Enzo steigerte sich in einen ordentlichen Wutanfall hinein.
»Ich höre überall, daß heute auf der Rennbahn Tommy Hoylake das Two Thousand Guineas auf Archangel gewinnen werde. Überall Tommy Hoylake, Tommy Hoylake.«
Ich sagte nichts.
»Sie werden das richtigstellen. Sie werden den Zeitungen sagen, daß es Alessandro sein wird. Sie werden Alessandro am Samstag Archangel reiten lassen.«
Langsam sagte ich: »Selbst wenn ich das wollte, könnte ich Alessandro nicht auf dieses Pferd setzen. Der Besitzer wird das nicht erlauben.«
»Sie müssen eine Möglichkeit finden«, sagte Enzo. »Es muß aufhören, daß Sie mir Knüppel zwischen die Beine werfen, es muß aufhören, daß Sie dauernd unüberwindliche Hindernisse herbeizaubern, die es nicht erlauben, zu tun, was ich sage. Diesmal werden Sie es tun. Diesmal werden Sie sich überlegen, wie Sie es tun können , statt, wie Sie es nicht tun können.«
Ich schwieg.
Enzo erwärmte sich für sein Thema.
»Außerdem werden Sie mir nicht meinen Sohn wegnehmen.«
»Das tue ich nicht.«
»Lügner!« Der Haß flackerte auf wie Magnesium, und seine Stimme stieg um eine halbe Oktave. »Alessandro spricht nur noch von Neil Griffon hier und Neil Griffon dort und Neil Griffon sagt … und ich habe Ihren Namen so oft gehört, daß ich Ihnen … die Kehle … durchschneiden könnte.« Die letzten drei Worte schrie er fast. Seine Hände zitterten, und der Pistolenlauf wackelte um sein Ziel herum. Ich konnte spüren, wie sich die Muskeln in meinem Magen unwillkürlich zusammenkrampften, und meine Handgelenke zuckten sinnlos gegen die Riemen.
Er trat einen Schritt näher, und seine Stimme war laut und schrill.
»Was mein Sohn will, werde ich ihm geben. Ich … Ich … werde es ihm geben. Ich werde ihm geben, was er will.«
»Ich verstehe«, sagte ich und überlegte, daß ich die Situation zwar verstand, daß mir dies aber nicht im geringsten dabei helfen würde, mich daraus zu befreien.
»Es gibt niemanden, der nicht tut, was ich sage«, schrie er. »Niemanden. Wenn Enzo Rivera den Leuten sagt, sie sollen etwas tun, dann tun sie es.«
Was auch immer ich
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