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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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sich seiner Sache vollkommen sicher, aber ich hielt ihn für einen Optimisten.
     
    Alessandro tauchte nicht zum Training auf, weder zum ersten noch zum zweiten Lot. Aber als ich nach einer zweiten Dosis von Ettys ruckartiger Fahrweise steif aus dem Landrover kletterte, stand er am Eingang des Hofes und wartete auf mich. Als ich auf die Tür des Büros zuging, kam er mir entgegen und blieb vor mir stehen.
    Ich blieb ebenfalls stehen und sah ihn an. Seine Haltung war starr und sein Gesicht dünn und weiß vor Anspannung.
    »Es tut mir leid«, stieß er hervor. »Es tut mir leid. Er hat mir erzählt, was er getan hat … Ich wollte das nicht. Ich habe ihn nicht darum gebeten.«
    »Gut«, sagte ich beiläufig. Mir wurde bewußt, daß ich meinen Kopf immer zur Seite neigte, weil es auf diese Weise weniger schmerzte. Ich hatte das Gefühl, es sei langsam an der Zeit, sich aufzurichten. Ich richtete mich auf.
    »Er sagte, Sie wären jetzt einverstanden, mich morgen Archangel reiten zu lassen.«
    »Und was glauben Sie?« fragte ich.
    Er sah verzweifelt aus, antwortete aber ohne jeden Zweifel.
    »Ich glaube, Sie werden es nicht tun.«
    »Sie haben eine Menge dazugelernt«, sagte ich.
    »Ich habe von Ihnen gelernt …« Plötzlich schloß er den Mund und schüttelte den Kopf. »Ich meine … ich bitte Sie, mich Archangel reiten zu lassen.«
    Sanft sagte ich: »Nein.«
    Die Worte sprudelten aus ihm heraus: »Aber er wird Ihnen den anderen Arm brechen. Er hat es gesagt, und er tut immer, was er sagt. Er wird Ihnen wieder einen Arm brechen, und ich … und ich …« Er schluckte und versuchte, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor er mit viel mehr Selbstbeherrschung fortfuhr: »Ich habe ihm heute morgen gesagt, es sei richtig, daß ich Archangel nicht reite. Ich habe ihm gesagt, daß Sie, wenn er Ihnen noch weiteren Schaden zufüge, der Rennleitung alles erzählen würden und ich Rennbahnverbot bekäme. Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht will, daß er noch irgend etwas hier tut. Ich will, daß er mich hier bei Ihnen läßt, damit ich auf eigenen Füßen stehen kann.«
    Ich holte langsam und tief Luft. »Und was hat er darauf geantwortet?«
    Er schien ebenso verwirrt wie verzweifelt. »Ich glaube, es hat ihn noch wütender gemacht.«
    »Es geht ihm gar nicht so sehr darum, ob Sie Archangel im Guineas reiten oder nicht«, erklärte ich ihm. »Ihm geht es nur darum, mich zu zwingen, Sie reiten zu lassen. Es geht ihm darum, Ihnen zu beweisen, daß er Ihnen alles geben kann, worum Sie ihn bitten, genau wie immer.«
    »Aber ich bitte ihn doch jetzt darum, Sie in Ruhe zu lassen. Mich hierbleiben zu lassen. Und er hört einfach nicht zu.«
    »Sie bitten ihn um das einzige, was er Ihnen nicht geben wird«, sagte ich.
    »Und was ist das?«
    »Freiheit.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte er.
    »Weil er Ihnen keine Freiheit geben wollte, hat er Ihnen alles andere gegeben. Alles … um Sie festzuhalten. Wie er es sieht, habe ich Ihnen in letzter Zeit das einzige angeboten, was er Ihnen nicht zugestehen will. Die Möglichkeit, aus eigener Kraft Erfolg in Ihrem Leben zu erzielen. Also geht es bei seinem Kampf mit mir in Wirklichkeit gar nicht darum, wer Archangel morgen reitet; es geht um Sie.«
    Jetzt verstand er. Es traf ihn wie eine Offenbarung.
    »Ich werde ihm sagen, daß er keine Angst zu haben braucht, mich zu verlieren«, sagte er leidenschaftlich. »Dann wird er Ihnen nichts mehr tun.«
    »Tun Sie das nicht. Seine Furcht, Sie zu verlieren, ist alles, was ihn am Leben erhält.«
    Sein Mund öffnete sich. Er starrte mich mit schwarzen Augen an, ein Bauer, verloren zwischen den Türmen.
    »Aber was … was soll ich denn dann tun?«
    »Sagen Sie ihm, daß Tommy Hoylake morgen Archangel reiten wird.«
    Sein Blick wanderte von meinem Gesicht hinunter zu dem Höcker, unter dem der Rucksackverband steckte, und zu dem Umriß meines Armes in seiner Schlinge unter meinem Pullover.
    »Das kann ich nicht«, sagte er.
    Ich lächelte halb. »Er wird es bald genug herausfinden.«
    Alessandro schauderte leicht. »Sie verstehen nicht. Ich habe gesehen …« Seine Stimme verlor sich, und er blickte mit einer Art jähem Erwachen wieder in mein Gesicht. »Ich habe die Menschen gesehen, die er verletzt hat. Nachher habe ich sie gesehen. Es stand Furcht in ihren Gesichtern. Und auch Scham. Ich dachte nur … wie klug er war … zu wissen, wie man die Menschen dazu zwingt, zu tun, was man will. Ich habe gesehen, wie alle ihn fürchten …

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