Knochenbruch
daraus gekommen waren, hörten so plötzlich auf, als hätte man einen Schalter gedrückt.
Die Muskeln in seinen Wangen zuckten. Sein Kehlkopf bewegte sich unablässig. Ich gab ihm Zeit, wieder in Gang zu kommen.
»Sie hatten die Absicht, Tommy Hoylake zu töten.«
Keine Antwort.
»Wie?« fragte ich.
Keine Antwort. Ich schlug ihm noch einmal ins Gesicht, mit soviel Kraft, wie ich aufbringen konnte. Es war nicht besonders viel.
» Wie? «
»Carlo … und Cal …« Die Worte waren kaum voneinander zu unterscheiden.
Pferde auf der Heide, dachte ich. Tommy Hoylake, der Lucky Lindsay reitet, Carlo, der jedes Pferd auf dem Hof kannte, der alle Pferde jeden Tag beobachtet hatte und Lucky Lindsay mit derselben Unfehlbarkeit erkannte wie jeder Turfspion. Und Cal … Ich spürte, wie meine eigenen Gedärme sich genauso zusammenzogen, wie Enzos es getan haben mußten. Cal hatte die Lee Enfield 303.
»Wo sind sie?« sagte ich.
»Ich … weiß … nicht.«
»Sie sollten sie besser finden.«
»Sie … verstecken … sich.«
»Gehen Sie, und finden Sie sie«, sagte ich. »Gehen Sie los, und finden Sie sie. Es ist Ihre einzige Chance. Es ist Alessandros einzige Chance. Finden Sie ihn, bevor sie ihn erschießen … Sie schwachsinniger, dreckiger Mörder.«
Er stolperte wie blind um den Schreibtisch herum und ging auf die Tür zu. Die Pistole noch in der Hand, krachte er gegen den Rahmen und taumelte hin und her. Dann richtete er sich auf, stürmte durch den kurzen Flur und hinaus auf den Hof, wo er auf unsicheren Beinen und halb im Laufschritt auf seinen dunkelroten Mercedes zustolperte. Er brauchte drei Versuche, um den Motor anzulassen, bevor dieser zündete. Dann holte er zu einem verzweifelten Wendemanöver aus, dröhnte die Einfahrt hinunter und bog mit quietschenden Reifen nach rechts auf die Bury Road ein.
Verfluchter, dreckiger Mörder … Ich folgte ihm aus dem Büro, ging aber den Hof hinunter.
Laufen unmöglich. Die neuerlichen Hiebe, die er meiner Schulter verpaßt hatte, machten selbst das Gehen zu einer schrecklichen Strapaze. Törichter, wahnsinniger Mörder – Bastard … Zwanzig Minuten, seit Alessandro auf Lucky Lindsay davongeritten war … Zwanzig Minuten, wenn nicht mehr. Sie mußten schon ein gutes Stück auf der Waterhall-Bahn zurückgelegt haben. Kreisten jetzt wahrscheinlich am Ende der Line-Galoppbahn und formierten sich zu Gruppen. Ritten los …
Verdammt, dachte ich. Warum setze ich mich nicht einfach hin und warte ab, was passiert. Wenn Enzo seinen kostbaren Sohn tötet, geschieht es ihm ganz recht.
Ich beschleunigte meinen Schritt, ging durch die Tore zu den unteren Stallgassen. Durch das Tor auf der anderen Seite. Über den kleinen Trabring. Hinaus auf die Heide. Wandte mich nach links.
Bitte, laß ihn zurückkommen, dachte ich. Laß ihn zurückkommen. Lancat, der von seinem Ausflug zurückkehrte, gesattelt und aufgezäumt und bereit loszureiten. Er war da, kam am Zaun entlang auf mich zu, geführt von einem der weniger tüchtigen Reiter, zurückgeschickt von Etty, da er ihr bei den Galopps nur von geringem Nutzen sein konnte.
»Helfen Sie mir, meinen Pullover auszuziehen«, sagte ich drängend.
Er sah überrascht aus, aber Pfleger, die mein Vater ausgebildet hatte, machten niemals irgendwelche Einwände. Er half mir, den Pullover auszuziehen. Er war keine Florence Nightingale. Ich wies ihn an, mir auch die Schlinge abzunehmen. Niemand konnte mit einer Schlinge vernünftig reiten.
»Jetzt helfen Sie mir rauf.«
Er tat auch das.
»Okay«, sagte ich. »Gehen Sie rein. Ich werde Lancat später zurückbringen.«
»Jawohl, Sir«, sagte er. Und wenn ich ihm befohlen hätte, einen Kopfstand zu machen, hätte er auch nichts anderes gesagt als »Jawohl, Sir«.
Ich lenkte Lancat zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann ließ ich ihn über die Schrittbahn traben. Zu langsam. Viel zu langsam. Begann zu kantern und brach damit die Regeln der Heide. Es war schrecklich. Ich riß ihn herum, auf die Bury-Hill-Bahn, die während der nächsten vierzehn Tage eigentlich nicht benutzt werden durfte, und hielt direkt auf die Bury-Road-Kreuzung zu.
Könnte genausogut galoppieren … Ich legte die ersten tausend Meter auf der Galoppbahn zurück und die nächsten sechshundert auf der Schrittbahn, ohne viel langsamer zu werden, und erschreckte eine Reihe frühmorgendlicher Autofahrer, als ich die Hauptstraße überquerte.
Zu viele Pferde auf der Waterhall-Bahn. Aus einer Entfernung von
Weitere Kostenlose Bücher