Knochenerbe
Korb mit der Schmutzwäsche gab. Diesem Unterschrank war dieselbe Aufmerksamkeit zuteil geworden wie den Schränken in der Küche und im Gästezimmer.
Wer immer hier gesucht hatte, hatte nach einem Geheimversteck für einen Gegenstand gefahndet, den man in ein Schubfach legen, nicht aber hinter Büchern verstecken konnte … nach etwas, was sich nicht zwischen Laken und Handtüchern verbergen ließ, wohl aber in einem großen Kochtopf. Ich versuchte, mir Jane vorzustellen, wie sie etwas versteckte. Was? Einen Koffer voll Geld? Oder eine Schachtel mit … Dokumenten, die ein schreckliches-Geheimnis enthüllten? Ich öffnete den Wäscheschrank und starrte auf Janes sauber zusammengelegte Laken und Handtücher, ohne sie wirklich zu sehen. Eigentlich musste ich dem Einbrecher dankbar sein, dass er sie nicht alle aus den Regalen gezogen hatte, denn Jane war unschlagbar gewesen, was das Zusammenlegen von Wäsche betraf. Ihre Handtücher lagen viel ordentlicher zusammengefaltet, als ich das je fertigbringen würde, und ihre Laken machten ganz den Eindruck, als habe sie sie gebügelt. Gebügelte Laken hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Kein Geld und keine Dokumente: Beides hätte man so aufteilen können, dass es in die vom Einbrecher unbeachteten Stauräume gepasst hätte.
Als es an der Tür klingelte, sprang ich vor Schreck einen halben Meter in die Höhe.
Aber es waren nur die Glaser, ein Ehepaar, das ich auch rief, wenn es in den Wohnungen meiner Mutter Fensterprobleme gab. Sie nahmen es einfach hin, mich an dieser Adresse anzutreffen. Nachdem sie sich die zerschlagene Scheibe angeschaut hatten, meinte die Frau, derzeit würde in einer Menge Häuser eingebrochen. In ihrer Kindheit sei so etwas nur selten vorgekommen.
„Das liegt an all den Leuten, die aus der Stadt zu uns ziehen“, sagte sie, die stark mit Augenbrauenstift nachgezogenen Brauen missbilligend in die Höhe gezogen.
„Glauben Sie?“ Ich wollte der Frau nicht rundheraus widersprechen, um es mir nicht mit ihr zu verderben.
„Ganz sicher. Sie ziehen zu uns, weil sie der Großstadt entkommen wollen, aber ihre städtischen Gewohnheiten bringen sie mit.“
Diese Haltung war in Lawrenceton weit verbreitet: Man liebte das Geld, das die Pendler uns brachten, aber die Pendler selbst liebte man weit weniger, und trauen mochte man ihnen schon gar nicht.
Die beiden machten sich daran, das zerbrochene Glas zu entfernen und eine neue Scheibe einzusetzen, während ich mir Janes Schlafzimmer vornahm, das im Gegensatz zum Gästezimmer nach vorne lag. Solange ich nicht allein im Haus war, fiel es mir leichter hineinzugehen. Irgendwie kam es mir weniger intim und persönlich vor, Janes Zimmer zu betreten, wenn noch jemand im Haus war. Ich war beileibe nicht abergläubisch, wenigstens nicht bewusst, aber irgendwie kam es mir vor, als sei Janes Gegenwart in ihrem Schlafzimmer stärker zu spüren als anderswo im Haus.
Das Zimmer war groß und bot ausreichend Platz für Janes französisches Himmelbett, einen Nachttisch, eine stattliche Kommode und einen Schminktisch mit großem Spiegel. Beide Türen des großen Einbauschranks standen in der mir nun schon vertrauten Manier offen, und auch hier war der Inhalt einfach nur herausgezogen worden, um aus dem Weg zu sein. Von den eingebauten Regalbrettern rechts und links neben dem Schrank hatte der Einbrecher die Schuhe und Handtaschen gefegt.
Kaum etwas stimmte so traurig wie der Anblick der getragenen Schuhe eines anderen Menschen. Besonders, wenn man den Job hatte, sich ihrer zu entledigen. Jane hatte ihr Geld nicht in Kleidung, Schuhe, Handtaschen oder andere persönliche Accessoires gesteckt. Ich hatte sie meiner Meinung nach nie in einem besonders aufregenden Kleidungsstück gesehen oder auch nur in einem, von dem ich definitiv hätte sagen können, es sei neu gewesen. Ihre Schuhe waren alle nicht teuer gewesen und sahen aus, als wären sie lange und oft getragen worden. Mir kam es immer mehr so vor, als hätte Jane ihr Geld gar nicht genossen. Jahrelang hatte sie in diesem Häuschen vor sich hin gelebt, Kleider aus dem Versandhauskatalog getragen und sich außer Büchern nie etwas Extravagantes gegönnt. Dabei hatte sie immer einen zufriedenen Eindruck gemacht. Sie hatte gearbeitet, bis sie in Rente gehen musste, und war danach bei uns in der Bibliothek eingesprungen, wann immer Not am Mann war. Das kam mir jetzt alles so klein und traurig vor, ich musste mir einen Ruck geben, um nicht
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