Knochenerbe
darin geschah, und jeder in der Stadt wusste, dass dem so war. Wenn man also über etwas Bescheid wissen wollte, musste man sich an Sally wenden. Wir waren befreundet, wobei unsere Freundschaft schon einige Höhen und Tiefen erlebt hatte. Die Höhen, als wir beide Mitglieder im Club „Echte Morde“ gewesen waren, die Tiefen, als Sally versuchte, sich mit den Geschehnissen um diesen Club herum national, zumindest aber doch regional als Journalistin einen Namen zu machen. Sie hatte ihrem Streben nach einem Leben draußen in der großen weiten Welt ziemlich viel geopfert und es schwer gehabt, als ihr Versuch, Lawrenceton hinter sich zu lassen, misslang. Mittlerweile setzte sie alles daran, die entstandenen Schäden zu reparieren und sich als treue Mitbürgerin zu beweisen. So war sie unterdessen wieder ebenso gut mit den Lebensadern unserer Stadt verbunden wie eh und je. Dass überregionale Radiosender ihre Geschichten über die grausamen Vorkommnisse des letzten Jahres übernommen hatten, hatte ihr zwar nicht den Weg aus der Stadt geebnet, ihre Macht innerhalb der Stadt war dadurch jedoch eindeutig gewachsen.
Eigentlich kannte ich Sally nur elegant. Sie liebte teure Schuhe und Kostüme, die ihr dann allerdings lange Zeit dienen mussten. Nun, bei ihr zu Hause sah ich, dass Sally ihr Geld sozusagen auf der Haut trug: Ihr Haus war klein, nicht ganz so hübsch wie das Janes, und lag in einer Gegend, in der die Gärten nicht ganz so gepflegt, die Rasenflächen nicht ganz so regelmäßig gemäht wurden. Ihr Auto, das schon lange keine Waschanlage mehr von innen gesehen hatte, stand in all seiner staubigen Pracht ohne den Schutz von Carport oder Garage in ihrer Auffahrt. Wenn man in dieses Auto stieg, war es darin bestimmt so heiß wie in einer Backstube. Im Haus selbst war es erstaunlich kühl. Sally besaß zwar keine zentrale Klimaanlage, aber verschiedene, unter den Fenstern angebrachte Elemente sorgten für einen eisigen Luftstrom, der den Schweiß auf meinem Gesicht fast gefrieren ließ.
Sallys Haar saß perfekt wie immer. Es sah fast aus, als könne man es abnehmen und wieder aufsetzen, ohne auch nur eine einzige bronzefarbene Locke in Unordnung zu bringen. Aber statt eines klassisch geschnittenen Kostüms trug sie an diesem Sonntagmittag abgeschnittene Jeans und ein altes Arbeitshemd.
„Heiß ist es, Mädchen!“, begrüßte sie mich an der Tür. „Bin ich froh, dass ich heute nicht arbeiten muss.“
„Ein guter Tag, um nicht vor die Tür zu gehen.“ Interessiert sah ich mich um, denn ich war zum ersten Mal in Sallys Haus. Aus Deko machte sie sich offensichtlich nicht viel. Die Bezüge von Couch und Sesseln schienen mir eine sehr unglückliche Wahl, und auf dem billigen Couchtisch hatten Gläser und Kaffeebecher einige Ringe hinterlassen. Mein Hausverwalterinnenauge registrierte sofort, dass das ganze Haus gestrichen werden musste. Aber in den Bücherregalen drängte sich eine wundervolle Sammlung zu Sallys Lieblingsthema organisierte Kriminalität, und beim Duft, der aus der Küche strömte, lief mir das Wasser im Munde zusammen.
Natürlich würde ich mein Essen mit Informationen bezahlen müssen, aber möglicherweise war es das ja wert.
„Das riecht gut!“, lobte ich.
„Ich rühre gerade die Soße an. Komm und leiste mir Gesellschaft. Willst du ein Bier? Ich habe ein paar ins Eisfach gelegt, die dürften inzwischen kalt sein.“
„Gern! Mit Eisfach und kalt hast du mich überzeugt.“
„Hier, trink erst einmal ein Glas Wasser gegen den Durst und das Bier dann schön langsam hinterher, mit Genuss.“
Ich leerte mit fieberhaften Zügen das Glas Eiswasser, das sie mir hingestellt hatte, ehe ich den Verschluss von der Bierdose zog. Sally hatte mir, ohne dass ich darum hätte bitten müssen, einen dieser runden Dosengriffe aus Plastik hingelegt. Mit geschlossenen Augen genoss ich den ersten Schluck kühlen Biers, der mir durch die Kehle rann. Zu jeder anderen Jahreszeit rühre ich Bier nicht an, aber der Sommer im Süden ist genau das, wofür Bier erfunden wurde. Sehr kaltes Bier. „Oooh“, murmelte ich entzückt.
„Ich weiß! Wenn ich nicht aufgepasst hätte, hätte ich mir beim Kochen ein ganzes Sechserpack hinter die Binde gekippt.“
„Kann ich dir helfen? Tisch decken oder so?“
„Nein, ich habe alles im Griff. Glaube ich wenigstens. Sobald die Soße fertig ist – Himmel, ich muss nach den Brötchen sehen! Ja, die sind auch fertig, schön knusprig und braun. Sobald die Soße fertig ist,
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