Knochenerbe
Psychiatrie.“
„Das tut mir leid.“
„So meinte ich das nicht, ich wollte nicht klagen. Ich wollte dir nur erklären, warum ich deine Frage zu schätzen weiß. Es geht ihm besser, aber noch lange nicht so gut, dass er entlassen werden könnte. Damit rechne ich frühestens in ein oder zwei Monaten. Die letzten drei, vier Male ist Paul mitgekommen, wenn ich zu Perry fuhr.“
„Dann scheint er dich ja wirklich zu lieben, Sally!“, sagte ich und das meinte ich auch so, aus ganzem Herzen.
„Weißt du was?“ Ihr Gesicht leuchtete. „Ich glaube auch. Bring doch bitte deinen Teller, ich nehme an, jetzt ist alles fertig.“
Wir luden uns am Herd die Teller voll, was mir nur recht war. Wieder am Tisch strichen wir Butter auf unsere Brötchen, sprachen jede für sich ein kurzes Gebet und machten uns über das Essen her, als wären wir kurz vor dem Verhungern.
„Jetzt willst du wohl alles über Janes Haus wissen“, sagte ich, nachdem ich Sally für das wunderbare Essen gedankt hatte.
„Bin ich so leicht zu durchschauen? Ja, ich habe da so was läuten hören, du weißt doch, wie schnell sich Gerede und Tratsch herumsprechen. Da dachte ich mir: Frag doch lieber gleich richtig nach, ehe das Gerede in der Stadt aus dem Ruder läuft.“
„Da hast du richtig gedacht. Mir ist es auch lieber, wenn du die Geschichte von mir erfährst und dann an die Klatschbörse weiterleiten kannst. Wer mag wohl mit dem Gerede angefangen haben?“
„Na ja …“
„Parnell und Leah!“
„Bravo, die Kandidatin hat hundert Punkte.“
„Gut, Sally, du kriegst jetzt von mir ganz exklusiv ein saftiges Stück Tratsch geliefert. Für eine Geschichte in der Zeitung eignet er sich zwar auf keinen Fall, aber du triffst hier doch praktisch jeden und darfst dann sagen, du kennst die Einzelheiten aus allererster Quelle.“
„Ich bin ganz Ohr“, sagte Sally, ohne eine Miene zu verziehen.
Also lieferte ich ihr den Bericht über mein Erbe, wenn auch in lektorierter und bereinigter Fassung und unter Verheimlichung der tatsächlichen Bargeldsumme.
„Auch ihre Ersparnisse?“ Sally klang neidisch. „Du Glückspilz – ist es viel?“
Plötzlich kribbelte es mir vor Freude wieder in sämtlichen Gliedern. Das passierte in den letzten Tagen von Zeit zu Zeit, wenn es mir gelang, den Schädel zu verdrängen und nur an das Geld zu denken. Ich grinste wie die Katze, die den Kanarienvogel verschluckt hatte.
Sally lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wahrscheinlich versuchte sie, sich vorzustellen, wie es sich anfühlen mochte, so plötzlich viel Geld zu besitzen.
„Das ist fabelhaft“, seufzte sie verträumt. „Mir tut es gut, jemanden zu kennen, dem das passiert ist. Als hätte man im Lotto gewonnen.“
„Ja, bloß dass Jane sterben musste, damit ich die Erbschaft antreten konnte.“
„Mein Gott, Mädchen, Jane war uralt!“
„So alt nun auch wieder nicht, Sally. Sie war Mitte siebzig, heutzutage werden die Leute viel älter.“
„Aber Mitte siebzig ist alt. So lange mache ich es bestimmt nicht.“
„Das hoffe ich aber doch“, widersprach ich freundschaftlich. „Ich will doch, dass du noch lange Brötchen für mich backst.“
Wir sprachen noch ein wenig über Paul, was Sally glücklich zu machen schien. Dann fragte ich sie nach Macon Turner, ihrem Chef.
„Ich habe gehört, er geht mit einer meiner potenziellen neuen Nachbarinnen“, sagte ich so beiläufig wie möglich. „Mit Carey Osland.“
„Ja, zwischen den zweien tobt die Liebe heiß und stürmisch, und sie haben ja auch beide jede Menge Erfahrung.“ Sally nickte bestimmt. „Carey hat dem anderen Geschlecht scheinbar eine Menge zu bieten. Ihre Datingkarriere ist beeindruckend, ihre Ehegeschichten sind es ebenfalls.“
Ich verstand genau, worauf Sally hinauswollte, ließ es mir aber nicht anmerken. „Ach ja?“
„Oh ja. Zuerst war sie mit Bubba Sewell verheiratet, als er noch ein junger Anwalt frisch von der Uni war, der reine Niemand also. Das ging schief, und sie heiratete Mike Osland – und was macht der? Er zieht eines Abends los, Windeln kaufen, und kommt nicht mehr nach Hause. Carey tat allen total leid, als ihr Mann sie verließ. Mir auch, immerhin war ich mal in der gleichen Lage. Inzwischen frage ich mich allerdings, ob Mike nicht allen Grund hatte, sich zu verdrücken.“
Grund? Ich spitzte die Ohren, und vor meinem geistigen Auge spielte sich eine ganze Reihe möglicher Szenarien ab. Careys Gatte bringt Careys Liebhaber um und muss
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