Knochenfinder
müde die Stirn.
Hanke tat, als hätte er die schlechten Nachrichten nicht gehört. »Sagt mal, sollen wir uns nicht erst mal was Ordentliches zum Frühstück organisieren? Kaffee, Brötchen, Obst?«
»Oh, das wär gut.« Lorenz sprang auf. »Wir können ja zusammenlegen. Ich geh mal unten fragen, ob uns jemand was holen würde. Ich muss eh noch Tassen runterbringen.«
Alle wühlten in ihren Portemonnaies und erzählten Lorenz, was sie am liebsten zum Frühstück aßen. Binnen einer Minute lag ein Häufchen Geld vor Lorenz, der anschließend damit nach unten ging, um einen hilfsbereiten Kollegen zu suchen.
Eine kleine Weile später kam er wieder, hob beide Daumen in die Höhe und setzte sich an seinen Laptop. »Alles klar. Ich hab jemanden gefunden, den ich noch nicht einmal bestechen musste; er ist ganz freiwillig losgezogen, um für uns Brötchen zu besorgen. Trotzdem hab ich ihm versprochen, dass er noch was bei uns guthat. Vergesst das also nicht!«
»Und wem schulden wir was?«, wollte Hanke wissen.
»Simon Steinhaus von der GS 4. Der ist in der Gruppe, die das Sicherheitskonzept für das Sommerfest plant. Der wird wissen, wie die Produktivität einer Arbeitsgruppe mit ihrem Energielevel sinkt«, erklärte Lorenz.
Schmitz lachte. »Das macht er bestimmt nicht, weil er so viel Mitleid mit uns hat. Ich hab den jetzt schon ein paarmal mit Natascha zusammen gesehen. Hat wahrscheinlich eher damit zu tun.«
»Ah!« Lorenz grinste wissend. »Apropos: Wo ist Natascha? Wir haben gleich sieben Uhr. Sie ist doch sonst immer pünktlich. Soll ich sie mal anrufen? Vielleicht hat sie verschlafen.«
Alle schauten sich um, als hätte sie sich in einer Ecke versteckt.
»Ach, lass.« Winterberg ärgerte sich, aber sie würden nicht auf Natascha warten können; schließlich mussten sie so schnell wie möglich die Suche nach René fortsetzen. »Wir fangen jetzt an, und dein Bericht ist der erste.«
Lorenz blickte kurz auf den Bildschirm und fasste die jüngsten Entwicklungen seit ihrer letzten Sitzung am Vortag zusammen. »Die Eltern von René sind mittlerweile über die Verletzungen ihres Sohnes informiert worden, ein Kollege vom Kriseninterventionsteam war gestern Nachmittag noch bei ihnen. Er hat den Hausarzt von Frau Staudt hinzugezogen, weil er sich nicht sicher war, ob sie wieder abstürzt.« Er wandte sich kurz an Hanke und erklärte: »Sie ist Alkoholikerin. Die Eltern haben uns den Namen eines Schulkameraden gegeben, Manuel Siebert. Von dem haben wir erst von diesen Gewaltvideos erfahren. Am Abend haben wir dann die Computer zweier männlicher Jugendlicher aus der Schule erhalten – sogar fast freiwillig. Ich denke, denen ist bewusst, was sie da treiben. Möglicherweise hoffen sie auf mildernde Umstände und sind deshalb kooperativ. Oder sie haben das ganze Ausmaß dessen, was sie da treiben, noch gar nicht kapiert. Die Geschichte mit den Videos ist jedenfalls eine ziemlich heiße Spur. Renés Mutter hat in seinem Bett ein blutverschmiertes T-Shirt gefunden; wir wissen aber noch nicht, wessen Blut das ist. Schmitz, habt ihr da schon was rausgefunden?«
Schmitz hielt eine Packung Kaugummis in der Hand, legte sie aber wieder beiseite, als er angesprochen wurde. »Ja. Das T-Shirt war zwar nicht mehr auffindbar, aber wir haben natürlich noch Spuren im Bettlaken und auf der Matratze gefunden. Das Blut dort stammt von René, das ist relativ sicher. Es gibt noch eine klitzekleine Möglichkeit, dass sich auf dem verschwundenen Shirt noch anderes Blut befindet, aber die ist wirklich verschwindend gering. Jetzt kommen noch ein paar Untersuchungen, aber das Zwischenergebnis kann ich euch ja ruhig schon mitteilen.« Er nahm sich wieder die Packung Kaugummis und zog einen Streifen daraus hervor. »Aber ihr wisst, dass das noch keine offizielle Info ist; die kommt erst noch.«
Winterberg winkte ab. »Wissen wir doch, Schmitz. Gut, jetzt sind wir einen Schritt weiter und wissen, wessen Blut sich auf Renés T-Shirt befand. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen: René wurde verletzt, oder er hat sich selbst verletzt.« Er seufzte. Irgendwie hatte er den Eindruck, das Bild von René würde immer mehr verschwimmen.
»Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Es ist zwar sein Blut, aber nicht sein T-Shirt«, warf Lorenz ein. »Auch dann steckt noch mindestens eine weitere Person mit drin.«
Lorenz hat recht, dachte Winterberg. Und sie mussten dringend herausfinden, wer diese weitere Person war. Denn möglicherweise
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