Knochenfinder
spürte Wut in sich aufsteigen. »Der Schnippler«. Das war eine Schmähung par excellence, die weder mysteriös noch respektvoll klang. Was hatte er sich im Vorhinein für Gedanken gemacht, wie er wohl genannt würde. Er hatte an Bezeichnungen wie »Hannibal the cannibal« gedacht oder an »Thanatos«. Selbst etwas Biblisches hätte er sich gefallen lassen. Aber »der Schnippler«? Das war absolut unter seiner Würde. Er hatte sich als kreativ und intelligent erwiesen, insbesondere bei der Auswahl der infrage kommenden Caches. Aber offensichtlich war er den einfachen Cachern deutlich überlegen.
Er zuckte mit den Schultern. Eigentlich konnte ihm das nur recht sein. Dann würde er eben noch länger als geplant seinen Spaß haben.
Kapitel 43
Winterberg betrat den Besprechungsraum. Es war angenehm kühl; Lorenz hatte alle Fenster geöffnet, sodass die frische Morgenluft in den Raum strömte. Auf dem Platz des Kollegen war schon alles parat: Der Laptop war hochgefahren, und die Hauptakte lag oben auf einem Stapel von Unterlagen. Winterberg dachte an das Chaos in Lorenz’ Büro und wunderte sich über den Kontrast.
Schmitz war schon da und gähnte ungehemmt. Auch Hanke, der heute das erste Mal an einem Meeting zum »Knochenfinder«-Fall teilnahm, hatte sich bereits eingefunden. Er sah erstaunlich fit aus, und Winterberg vermutete, dass dies den zahlreichen sportlichen Aktivitäten seines Kollegen zu verdanken war. Hanke trainierte mal für einen Halbmarathon, mal für einen Amateur-Triathlon oder ein Vierundzwanzig-Stunden-Schwimmen. Er fand immer irgendeine Sportveranstaltung, auf die er sich vorbereiten konnte. Winterberg fragte sich manchmal, ob Hanke nicht vor etwas davonlief. Natascha war noch nicht da.
»Guten Morgen, Kollegen.« Winterberg ging zu seinem Platz von gestern und setzte sich. Erschöpft verschränkte er die Arme, legte sie auf den Tisch und stützte so seinen Oberkörper ab. Die anderen sahen ihn müde an, nur Hanke strahlte eine innere Ruhe aus.
»Lorenz hat gestern Abend noch die Ereignisse des Tages zusammengefasst und wird uns davon erzählen«, erklärte Winterberg. »Dann berichtet Schmitz über den Stand der Laboruntersuchungen; anschließend informiert uns Hanke, was er alles im Internet und in den Computern der beiden Videofreaks gefunden hat.«
Winterberg schloss für einen kurzen Moment die Augen, weil ihm schwindlig wurde. Er war so verdammt müde. Plötzlich klingelte sein Handy. Er hoffte auf den erlösenden Anruf von Ute, auch wenn es dafür eigentlich noch viel zu früh war; die Schule hatte noch gar nicht angefangen. »Ja?«
Lützelberg, einer der Hundertschaftsleiter von der Bochumer Bereitschaftspolizei, meldete sich. Winterberg stellte sein Telefon so ein, dass die anderen im Raum mithören konnten.
»Wir haben jeden Quadratzentimeter in den beiden Waldstücken abgesucht, die wir uns zuerst vornehmen sollten«, berichtete Lützelberg. »Wir haben zwar einen Haufen Zeug gefunden, vorwiegend Müll, aber leider keinen Hinweis auf den vermissten jungen Mann. Die Beschaffenheit des Bodens in euren Wäldern ist schon recht spezifisch: ein sehr harter und steiniger Untergrund, und überall sind größere Vertiefungen, die von eingestürzten Bergwerkstollen oder verschütteten Eingängen herrühren und die an kleine Bombenkrater erinnern. Pingen. Dennoch haben wir alles untersucht. Diese Vertiefungen sind schon seit Jahrzehnten zugewachsen, teilweise wachsen da sogar Bäume drin. Wir hatten gehofft, wir könnten den Vermissten in einem solchen Loch aufspüren – aber leider Fehlanzeige.«
»Der Altbergbau ist hier immer noch sehr präsent«, merkte Winterberg an. »Gab es sonst noch was Besonderes?«
»Leider nicht.« Lützelberg klang müde und erschöpft. »Das Erdreich ist trotz des Regens am Dienstag schon wieder völlig trocken. Beides zusammen, der Regen und die Trockenheit, verändern natürlich viele Spuren, vor allem dann, wenn schon so viel Zeit vergangen ist. Der junge Mann ist ja schon seit Freitag verschwunden. Als Nächstes nehmen wir uns die anderen beiden Wälder vor, die uns zugeteilt wurden. Aber wenn da weder THW noch die Feuerwehr erfolgreich waren, würde ich keine großen Erwartungen mehr haben.«
Das war genau das, was Winterberg nicht hatte hören wollen. Doch es überraschte ihn nicht, denn in diesem Fall gab es bemerkenswert wenige Spuren.
»Ja, danke. Ich gehe davon aus, dass ihr euch später noch einmal meldet. Bis dann!« Winterberg runzelte nur
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