Knochenfinder
Fahrstühlen überfiel. Nicht an die Atemnot, die sie einmal in einer Telefonzelle hatte. Auch nicht an die Enge im Brustkorb, die sie auf der Treppe im Seitenturm dieser barocken Kirche in Italien gespürt hatte, deren Namen sie so erfolgreich verdrängt hatte.
Nicht daran denken, Natascha! Alles wird wieder gut!
Langsam beruhigte sich ihr Atem wieder, und sie versuchte, sich zu konzentrieren. Gab es hier irgendeine Fluchtmöglichkeit? Sie drehte den Kopf in die andere Richtung und entdeckte plötzlich in der Dunkelheit eine halbhohe Wand. Ihr Herz schien auf einmal Purzelbäume zu schlagen. War das etwa ein Ausgang?
Sie biss die Zähne zusammen und rollte sich vorsichtig auf den Bauch. Dann versuchte sie, nach vorn zu robben, obwohl dies mit ihren gefesselten Händen und Füßen eigentlich unmöglich war. Sie fühlte sich wie ein Wesen ohne Gliedmaßen, das sich nur mit der Muskulatur an Bauch und Oberkörper fortbewegen konnte. Nur millimeterweise kam sie voran und schabte sich dabei die Haut von Schultern und Knien. Auch ihre gefesselten Hand- und Fußgelenke schmerzten bei jeder Bewegung.
Sie wünschte, sie könnte ihr Kinn zu Hilfe nehmen, um schneller voranzukommen. Dann versuchte sie es wirklich – doch das tat verdammt weh!
Völlig erschöpft erreichte sie schließlich die Wand und blieb einen kurzen Moment absolut regungslos liegen, um zu verschnaufen. Als sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte, begann sie, die Wand genauer zu betrachten. Sie schien aus Brettern zu bestehen, die übereinandergefügt worden waren wie bei einem Zaun. Die Spalten zwischen den einzelnen Brettern waren zu schmal, um hindurchschauen zu können. Natascha hielt ihren Kopf näher an die Bretter und atmete tief ein. Vielleicht würde sie einen Geruch erkennen.
Schlagartig zuckten vor ihrem inneren Auge grellgelbe Blitze auf. Natascha unterdrückte ein Stöhnen. Das konnte doch nicht wahr sein, das musste eine Einbildung sein! Ihre Sinne spielten ihr einen Streich!
Als sie sich konzentrierte, sah sie das synästhetische Bild, dem sie nachgegangen war – das sie sowohl zu Hause beim Putzen als auch bei der Polizeiaktion im Wald wahrgenommen hatte. Und nun wusste sie auch, welcher Sinneseindruck dafür verantwortlich war. Es war ein Geruchsbild. Irgendetwas beim Saubermachen des Teppichs roch genauso wie etwas hier unten in der Höhle. Und offensichtlich war dieser Geruch auch nach oben in den Wald gedrungen. Aber was konnte das sein?
Natascha biss die Zähne aufeinander und kniff die Augen zusammen. So ein verdammter Mist!
Kapitel 47
Winterberg verließ die Dienststelle durch den Hintereingang und ging auf den Mitarbeiterparkplatz. Hier hinten im Schatten herrschte noch ein wenig Kühle, aber die Luft ließ schon erahnen, dass der heutige Tag wieder heiß sein würde.
Er fühlte sich so schrecklich müde, und es lag noch ein anstrengender Tag vor ihm. Und vielleicht eine Nacht und ein weiterer Tag. Frustriert trat er gegen einen Stein, der auf dem schwarzgrauen Asphalt lag.
Der Kiesel flog über den Parkplatz und traf beinahe den Wagen eines Kollegen. Zwei Tauben, die sich um ein Kaugummipapier balgten, trippelten indigniert beiseite. Wie Schüler, die sich zu Unrecht wegen eines Vergehens verdächtigt fühlten, dachte er.
Sein Handy klingelte, und er nahm den Anruf lustlos entgegen. »Ja, Winterberg.«
»André Fischer hier.« Es war der Kollege, mit dem zusammen sie gestern diesen Cache im Naherholungsgebiet gefunden hatten. Den Cache, den sie getrost als Niete verbuchen konnten.
»Ich bin hier oben im Waldgebiet Dautenbach. Routinekontrolle an der abgesperrten Stelle.«
»Und, ist noch alles da? Hat sich da jemand zu schaffen gemacht?«, fragte Winterberg und öffnete seinen Octavia mit der Fernbedienung.
»Nee, diese Stelle sieht unverändert aus. Aber wir haben hier noch was anderes, das wir ein bisschen ungewöhnlich finden. Ich weiß nicht, ob es eine Bedeutung hat oder nicht. Vielleicht sind wir auch übertrieben vorsichtig, aber es geht ja schließlich immer noch um den vermissten Jugendlichen. Möglicherweise hat es ja auch damit etwas zu tun.«
»Was denn?«, hakte Winterberg ungeduldig nach und stieg in seinen Wagen.
»Hier oben steht ein Fahrrad an den Grill angelehnt, und niemand ist in der Nähe, dem es zu gehören scheint.«
Winterberg schnellte im Sitz nach oben und stieß gegen den Wagenhimmel. »Was? Ein Fahrrad? Was für eins?«
»Ein Mountainbike. Es sieht recht teuer aus, trotzdem ist es
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