Knochenfinder
Winterberg versuchte, durch den Mund zu atmen, bevor er mit der Befragung begann. »Ich habe mit Manuel Siebert gesprochen. Der hat mir ein paar Hinweise gegeben, die für unsere Ermittlungen sehr wichtig sind. Wussten Sie, dass René einen Laptop hat?«
Karin Staudt starrte ihn an. »Das ist unmöglich. Mein Mann hätte das nicht erlaubt. Außerdem hat er doch immer den Computer von meinem Mann benutzt.«
»Wir gehen davon aus, dass Manuels Aussage stimmt. Und wir glauben auch zu wissen, was René mit dem Laptop gemacht hat. Er hat mit anderen Schülern gewaltverherrlichende Filme und Bilder getauscht.«
Winterberg beobachtete Karin Staudt, doch sie schien gar nicht richtig zu verstehen, wovon er sprach. Sie schüttelte den Kopf, als hätte er etwas völlig Absurdes gesagt.
»Soll das dieses Geocaching sein?«, erkundigte sie sich.
»Nein. Wir gehen nicht mehr davon aus, dass René direkt etwas mit Geocaching zu tun hat. Wir verfolgen nun die Spur dieser Gewaltbilder. Dazu brauchen wir Renés Laptop.«
Karin Staudt schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. »Aber René hat gar keinen Laptop! Er benutzt doch den Computer meines Mannes.«
Winterberg seufzte. Vielleicht sollte er doch besser mit Michael Staudt sprechen. Wenn er jetzt im Büro arbeitete, war er sicherlich ansprechbar.
»Ihre Kollegen von der Spurensicherung haben oben alles in Unordnung gebracht. Die hätten doch bestimmt einen Laptop gefunden, wenn da einer wär.« Sie zog erneut an ihrer Zigarette, blies den Rauch in Winterbergs Richtung und legte sie dann zurück in den Aschenbecher.
»Wir vermuten, dass René den Laptop mitgenommen hat«, erklärte Winterberg und hoffte, dass das Thema damit vom Tisch sei. Es hatte ja doch keinen Zweck, mit Karin Staudt darüber zu sprechen. »Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas an René aufgefallen? Hat er sich verändert?«
Winterberg erkannte sofort, wie absurd seine Frage war. Als ob Renés Eltern so etwas bemerkt hätten. Sie waren wahrscheinlich froh gewesen, wenn sie überhaupt nichts von dem Jungen bemerkten.
»Nein, er war wie immer«, erwiderte Karin Staudt.
Ihre Antwort kam für Winterberg nicht überraschend. Er stand auf. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Frau Staudt. Ich wende mich mit meinen Fragen auch noch an Ihren Mann, vielleicht ist ihm etwas aufgefallen.«
Sie nickte desinteressiert und blieb einfach liegen, als Winterberg den Raum verließ. Einen Moment lang blieb er im Flur stehen. Er ärgerte sich maßlos über die Zeitverschwendung. Statt mit Karin Staudt ein nutzloses Gespräch zu führen, hätte er sich besser gleich mit dem Vater treffen sollen. Sie befand sich in einem völlig desolaten Zustand, und der Ausspruch, jemand ertränke seinen Kummer im Alkohol, traf auf sie hundertprozentig zu. Er beschloss, noch einmal mit dem Hausarzt zu sprechen. Jemand musste sich um Karin Staudt kümmern.
Winterberg stand noch im Hausflur, als sein Handy klingelte. Rasch ging er hinaus und nahm den Anruf auf dem schmalen Plattenweg im Vorgarten entgegen.
»Hier ist Simon Steinhaus«, hörte er die aufgeregte Stimme des jungen Polizisten. »Ich habe das Fahrrad identifiziert. Es gehört eindeutig Natascha.«
Winterberg sog zischend den Atem ein. »Und, habt ihr noch mehr gefunden?« Er fürchtete sich vor der Antwort, die er möglicherweise bekommen würde.
Doch Steinhaus verneinte. »Nur das Rad. Wir haben eben in der Zentrale angerufen; die schicken Suchmannschaften hier hoch. Bis dahin suchen wir selbst. Fischer ist noch mit seinem Kollegen hier, wir sind auch zu zweit.«
Steinhaus klang bedrückt, und im Hintergrund hörte Winterberg andere Männer sprechen, wahrscheinlich die Kollegen. Sie klangen aufgebracht.
»Ist sie mittlerweile ans Handy gegangen?«, fragte Winterberg und verließ das Grundstück der Staudts durch das Gartentor.
»Nein, doch ich versuche es immer wieder. Aber jedes Mal erhalte ich die Mitteilung, dass der Empfänger nicht erreichbar ist.«
»Mach weiter. Ich muss zurück in die Wache und mich dringend mit Lorenz besprechen. Kommen Hunde zum Suchen? Falls ja, sag mir Bescheid, wenn sie da sind. Dann versuche ich zu euch zu kommen.« Winterberg öffnete seinen Wagen und setzte sich.
»Ja, mache ich«, versprach Steinhaus.
»Und halt die Ohren steif. Wir finden Natascha!« Winterberg versuchte, den jungen Mann aufzumuntern.
Aber eigentlich gab es überhaupt keinen Grund zum Optimismus. Irgendetwas war mit Natascha geschehen, und sie hatten nicht den leisesten
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