Knochenfinder
Rechner wegzunehmen. Er fordert ihn zurück.«
»Pah!« Winterberg lachte verächtlich.
Steinhaus, der in seiner Nähe stand, blickte ihn erstaunt an. Um nicht noch einen weiteren Mitwisser im Kollegenkreis zu haben, ging Winterberg ein paar Meter in den Wald hinein.
»Du kannst ihm ausrichten, dass er sich strafbar gemacht hat. Wenn ich wollte, könnte ich ihm den halben Polizeiapparat auf den Hals hetzen.« Winterberg übertrieb zwar maßlos, aber das war ihm in dem Moment egal. Nicht nur Niklas hatte ein Anrecht darauf, wütend zu sein.
»Würdest du das wirklich tun?«, fragte Ute ängstlich.
»Weiß noch nicht«, brummte Winterberg verdrießlich ins Telefon. Er hatte seit der Besprechung am frühen Morgen nicht mehr richtig über Niklas nachgedacht: All seine Gedanken kreisten um den Fall René und Nataschas Verschwinden.
»Und was soll ich Niklas nun sagen? Dass er sich schon mal überlegen kann, welche Ausbildung er im Jugendgefängnis absolvieren möchte?«
Utes Sarkasmus ärgerte ihn wieder einmal. Doch im nächsten Moment kam Winterberg der Gedanke, dass sie diesmal ausnahmsweise recht haben könnte. Es wäre vielleicht ein heilsamer Schock für Niklas, wenn man dem Jungen mit solchen Worten drohen würde.
Er beobachtete Steinhaus, der verzweifelt auf die Kriminaltechniker wartete und auf dem Waldweg auf und ab lief. Plötzlich kam Winterberg eine andere Idee. Vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, zumindest zwei Probleme mit einem Schlag zu lösen.
»Ute, hör zu. Sag Niklas, dass er um Viertel vor eins zu mir ins Büro kommen soll. Sein Rechner steht da, und ich möchte ihm ein Angebot machen. Wenn er nicht kommt, erlischt mein Angebot, und ich werde den Weg einschlagen, den ich eigentlich gehen muss. Und der wird sehr unangenehm für ihn sein.«
»Du gibst ihm also noch eine Chance?«, fragte Ute.
Winterberg zögerte, denn er schämte sich ein wenig. Das, was ihm vorschwebte, war eigentlich keine Chance, sondern eine Erpressung. Außerdem waren seine Motive alles andere als uneigennützig.
»Ja«, antwortete er schließlich und verabschiedete sich von Ute. Dann sah er auf die Uhr; bis zu dem von ihm gerade festgesetzten Termin in seinem Büro dauerte es noch eine gute halbe Stunde. Hier oben würde er also nicht mehr lange bleiben können.
Zum Glück sah er nur wenige Momente später Schmitz mit zwei Kollegen herbeikommen, alle drei bepackt mit mehreren Alukoffern. Endlich! Steinhaus war so erleichtert, dass er den Jungs von der Spurensicherung entgegenlief. Winterberg ging zur Hütte und wartete dort, um sofort die Situation erklären zu können.
Schmitz knatschte wie immer ein Kaugummi, das diesmal jedoch eine ungewohnte Geschmacksrichtung besaß. Es roch nach Zimt, was Winterberg bei der Hitze eklig fand.
»Schmitz, endlich! Wir warten schon eine halbe Ewigkeit!« Winterberg wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen – wenn da nur nicht dieser widerliche Zimtgeruch wäre.
Schmitz schaute demonstrativ auf die Uhr. »Zwanzig Minuten«, sagte er und stellte seine beiden Koffer ab. Er klopfte Winterberg aufmunternd auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, wir werden schon was finden. Wenn der Hund hier angeschlagen hat, dann wird es hier auch ordentlich was zu entdecken geben. Wart’s nur ab!«
Winterberg lächelte gequält.
Schmitz begann sich umzuziehen. Seine beiden Kollegen hatten bereits ihre weißen Papieranzüge übergestreift und zogen nun Mundschutz, Überschuhe und Handschuhe an. Schmitz öffnete einen der Koffer, in dem sich mehrere Tütchen unterschiedlicher Größe, verschiedene Pinsel und Quaste und seine obligatorischen Pülverchen befanden. Die Suche nach mikroskopisch kleinen Spuren konnte also beginnen.
Kapitel 59
Er war näher gerückt. Mittlerweile saß er so dicht vor ihr, dass er nur den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu berühren. Natascha zitterte; gleichwohl versuchte sie, ihn das nicht merken zu lassen. Doch seine körperliche Präsenz war einschüchternd. Ihre Situation hatte sich verändert; nun hatte er die Oberhand.
»Ein nettes Gespräch, Frau Kommissarin. Aber es hilft Ihnen nicht weiter. Oder glauben Sie etwa, ich hätte in den letzten Minuten vergessen, wer Sie sind und warum Sie sich in meiner Gefangenschaft befinden?«
Natürlich nicht, ging es ihr durch den Kopf.
»Ihnen ist aber hoffentlich auch klar, dass ich Sie nicht einfach so gehen lassen kann«, fuhr er fort. »Nicht, nachdem Sie mich gesehen haben.«
Sie schüttelte langsam den
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