Knochenfinder
Niklas und dessen Sicht auf die Ereignisse hatte er noch keinen Gedanken verschwendet.
Als er nun eintrat, saß sein ältester Sohn auf dem Besucherstuhl und kehrte ihm den Rücken zu. Sein schwarzer Hahnenkamm lag platt auf der rechten Seite.
»Hallo, Niklas.«
Winterberg ging um den Stuhl herum und setzte sich auf den Schreibtisch, ein offenes Lächeln auf den Lippen. Doch Niklas drehte den Kopf zur Seite und starrte gegen die Wand.
»Du hast es dir also überlegt und möchtest mit mir zusammenarbeiten. Das freut mich.«
»Ich will meinen Rechner wiederhaben.« Niklas sah ihn noch immer nicht an.
»Und ich will, dass du mir hilfst.«
In Niklas’ Gesicht war keine Regung zu lesen.
»Ich weiß jetzt, dass deine Probleme in der Schule nichts mit Drogen zu tun haben. Also werde ich dem Drogentest zustimmen, damit du deine Unschuld beweisen kannst.«
Niklas verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. »Gib mir meinen Rechner zurück.«
»Du kannst den Computer zurückhaben, wenn du mir hilfst. Wenn du weiterhin bockig bleibst und dich weigerst, mir zu helfen, gebe ich den Computer einem meiner Kollegen. Dann bin ich aus der Sache draußen, und du hast ein verdammt großes Problem an der Backe.«
Niklas drehte den Kopf und sah nun seinen Vater an.
»Du weißt, dass du dich strafbar machst«, fuhr Winterberg fort. »Du verbreitest gewaltverherrlichende und jugendgefährdende Medien.«
Niklas kniff die Augen zusammen. »Ich verbreite nix.«
»Ach, und wie kommt das Zeug auf deinen Computer?« Winterberg beugte sich über den Tisch und funkelte seinen Sohn an.
Niklas wirkte äußerlich unbeeindruckt, aber sein Blick war unstet. »Du durftest überhaupt nicht ohne meine Erlaubnis an meinen Computer. Damit verletzt du meine Persönlichkeitsrechte.«
Winterberg glaubte, sich verhört zu haben. »Aha! Ich verletze also deine Persönlichkeitsrechte, weil ich mit einem begründeten Verdacht an deinen Computer gehe. Und was ist mit den Bildern und Filmen, die du auf dem Rechner hast? Hast du da vielleicht mal über Persönlichkeitsrechte nachgedacht?«
Niklas sah ihn nur irritiert an.
Winterberg musste sich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen. »Auch die Opfer haben Persönlichkeitsrechte! Und die werden sprichwörtlich mit Füßen getreten!«
Niklas zog die Mundwinkel nach unten. Offensichtlich war ihm dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. »Aber wir machen doch gar nichts! Das sind halt Filme aus dem Internet, die kann man da einfach runterladen.«
»Ihr? Wer ist noch daran beteiligt?«
Niklas zuckte kurz zusammen, als er merkte, dass er sich aufs Glatteis gewagt hatte. Er gab jedoch keine Antwort.
»René?«, fragte Winterberg. Als sein Sohn nur mit den Schultern zuckte, hakte er nach. »Ich weiß, dass René irgendwie mit diesem Netzwerk zusammenhängt. Ist er ein Opfer? Hat ihn jemand gefangen genommen, um ihn zu verletzen – vielleicht, um besonders coole Bilder zu haben? Hast du Bilder von René auf deinem Rechner? Hast du Filme, auf denen man die Amputationen sehen kann?«
Winterberg wusste, dass er seinen Sohn mit diesen Verdächtigungen stark unter Druck setzte. Doch wenn der Junge schon nicht auf die Androhung von Strafverfolgung reagierte, dann musste er es eben auf diese Weise versuchen. Und die Drohung zur Not auch wiederholen.
Es wirkte. Niklas sah ihn erschrocken an. »Nein! Wie kommst du darauf?«
»Weil es naheliegend ist.«
Niklas schüttelte den Kopf. »Das ist doch totaler Quatsch! Ich habe mir nur Bilder aus dem Internet angeguckt; mehr habe ich nicht getan! Und ich will jetzt meinen Rechner zurückhaben!«
Winterberg schüttelte energisch den Kopf. »Das ist mir zu wenig. Du sollst mir, verdammt noch mal, dabei helfen, René zu finden! Und ich weiß, dass eine Spur direkt zu diesen Videos führt. Jetzt sag mir, was du weißt, Herrgott noch mal!«
Er sprang auf die Füße, beugte sich vor und stützte sich mit den Fäusten auf dem Tisch ab: eine Drohgebärde, die seinen Sohn einschüchtern sollte. Aber Winterberg merkte im nächsten Moment, dass er damit über das Ziel hinausgeschossen war. Denn Niklas sackte nicht zusammen, sondern setzte sich aufrecht und ging auf Konfrontationskurs.
»Du bildest dir da irgendwas ein«, hielt er dem Vater entgegen. »Mama hat mir gesagt, dass du mit mir reden willst und mir eine Chance gibst, den Computer ohne Ärger zurückzubekommen. Aber du schreist mich an und willst mich erpressen.«
Winterberg nahm eine weniger drohende
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