Knochenfinder
Kreise zu ziehen, und drückte jetzt ständig gegen den Oberschenkel.
Winterberg hatte das Gefühl, als würde sein Sohn ihm mit dem Finger gegen den Kehlkopf pressen. Immer wieder. Es hinderte ihn am Sprechen, nahm ihm die Luft zum Atmen.
»Warum?«, ächzte er schließlich. Winterberg erschien seine Stimme seltsam fern.
»Weil alles geheim ist. Jeder kennt im Prinzip höchstens zwei andere Teilnehmer. Nur den, der einen angeworben hat, und denjenigen, den man selbst dazu eingeladen hat. Außerdem darf jeder nur einen einzigen anderen zum Mitmachen einladen. So bleibt der Kreis klein und wird nicht so schnell entdeckt.«
»Und wen hast du eingeladen?«
»Niemanden. Ich wollte auch gar nicht so weit da einsteigen. Eigentlich wollte ich mir nur ein paar Actionbilder und -filme angucken. Also welche, die besser sind als das, was man in den normalen Filmen immer so sieht.« Niklas kniff die Lippen zusammen. »Brutaler, meine ich.«
»Und woher weißt du, dass René da mitmacht?«
Niklas hob wieder die Schultern, als ob er von nichts wüsste. »Das hab ich irgendwie mitbekommen. Weil er plötzlich mit den coolen Jungs abhing und nicht mehr so allein rumstand. Ich hab mir das einfach irgendwie gedacht.«
»Spielt Geocaching bei euch eine Rolle?«, erkundigte sich Winterberg, obwohl er selbst nicht mehr an eine Verbindung zwischen dem Cachen und den Gewaltvideos glaubte.
»Nein. Keine Ahnung, warum Renés Finger da in den Dosen waren. Aber ich glaub nicht, dass das zusammengehört. Das Geocaching und unser Netzwerk, meine ich. Jedenfalls hab ich davon noch nie gehört.«
»Kennst du einen Robert Münker aus Kreuztal? Sind auch ältere Erwachsene in dem Netzwerk?«
Niklas schien kurz zu überlegen, verneinte dann aber Winterbergs Frage. »Den Namen kenne ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Ältere dabei sind.« Er sah seinen Vater stirnrunzelnd an. »Das ist doch eh nicht euer Ding, oder? Ihr seid immer so korrekt, versteckt euch hinter irgendwelcher scheinheiligen Moral und wollt uns erzählen, wo es im Leben langgeht. Dabei wisst ihr das doch selber oft gar nicht.«
Winterberg schüttelte den Kopf. Das Gespräch glitt in falsche Bahnen ab, er wollte jetzt keinen Disput mit einem Heranwachsenden haben. Er hatte wahrhaft Wichtigeres zu tun!
Mit einem Ruck stand Winterberg auf. »Lassen wir das. Ich hab noch einen wichtigen Termin draußen. Du kannst jetzt gehen.«
»Und was ist mit meinem Rechner?« Niklas blieb mit verschränkten Armen sitzen.
Winterberg ging zur Tür und hielt sie seinem Sohn auf. »Das besprechen wir später. Wenn wir René gefunden haben.«
»Das ist gemein! Du hast mir versprochen, dass ich den Rechner wiederbekomme, wenn ich dir helfe. Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß!« Seine Stirnfalten vertieften sich voller Zorn, und er sprang auf. Als er an seinem Vater vorbeiging, stieß er ihm mit dem Arm gegen den Brustkorb.
Winterberg wich ein Stück zurück. »Erst finde ich René, dann kümmere ich mich um deinen Rechner«, sagte er leise und nahm seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche. Er hörte, wie Niklas durch den Flur davonstampfte.
Winterberg verließ das Zimmer und schloss die Bürotür hinter sich ab. Er war froh, dass Niklas seinen Tower unter dem Schreibtisch nicht gesehen hatte.
Kapitel 63
Das Lachen prallte gegen die Wände der Höhle und kam in hundertfacher Verstärkung zurück. Natascha zerrte an den Fesseln, aber sie schnitt sich dabei nur schmerzhaft in die Handgelenke. Die Schnüre bewegten sich keinen Millimeter.
Er unterbrach sein Lachen. »Raffiniert, oder? Diese Art der Fesselung ist viel wirkungsvoller als das übliche Verschnüren von Händen und Füßen. Es ist keine gewöhnliche Fesselmethode, sondern dem Bondage entliehen. Ich habe nur ein paar winzige Abwandlungen durchgeführt. Beim Bondage werden normalerweise kleine ›Notanker‹ eingefügt – Knoten, die sich leicht lösen lassen. Das ist für meine Zwecke natürlich ungeeignet. Also habe ich Knoten verwendet, die sich umso fester zusammenziehen, je stärker man daran zerrt.« Er musterte sie triumphierend. »Diese Information sollte ich Ihnen fairerweise schon im Vorfeld mitteilen. Nicht, dass Sie hinterher behaupten, Sie hätten nichts davon gewusst. Ich bin nämlich ein sehr höflicher Mensch.«
Natascha spürte die Tränen, die ihr die Wangen herunterliefen. Sie hätte am liebsten geschrien, doch inzwischen konnte sie nur dumpfe Laute von sich geben, da sie geknebelt war. Er hatte
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