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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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Vorgärten zu sehen, hangabwärts blickte man auf Terrassen oder Wintergärten von Häusern einer tiefer gelegenen Straße.
    »Das hier wäre ein Albtraum für mich«, flüsterte Lorenz und sah sich um. »Wenn wir hier mit einem Streifenwagen aufgetaucht wären, hätte Herbert Schuster für den Rest seines Lebens am Pranger gestanden. Gruselig.«
    Sie betraten Schusters Grundstück durch die niedrige Gartenpforte. Der Rasen im quadratischen Vorgarten war akkurat gestutzt, Waschbetonplatten markierten den Weg zur Haustür. Ein Sechsender, der auf eine Baumscheibe montiert war, hing über dem Eingang. Natascha drückte die Klingel.
    Ein verlegen wirkender Mann um die sechzig öffnete die Tür und bat sie ins Innere des Hauses. Herbert Schuster war klein und grauhaarig. Er trug eine dunkelbraune Cordhose, die ihm an den Oberschenkeln viel zu weit war. Natascha dachte unwillkürlich an ihren alten Geschichtslehrer, dessen grauer Schnäuzer bei jeder Jahreszahl, die ein Schüler vergaß oder verwechselte, vor Freude bebte. Sie gingen durch den Flur, der ungefähr bis auf Hüfthöhe mit beigefarbenen Kacheln gefliest war. Unbenutzte Kleiderhaken stachen wie drohende Finger in die muffige Luft; auf dem Boden standen drei Paar Männerschuhe gleicher Größe, die trotz ihrer Falten und Knicke irgendwie unbenutzt wirkten.
    »Kommen Sie doch rein«, bat Schuster. Er wirkte distanziert höflich, fast ein bisschen demütig.
    Im Wohnzimmer wurden sie zu einem Ungetüm von Sofa geführt, das man getrost als Sitzlandschaft betiteln durfte. Überhaupt wirkte das ganze Wohnzimmer wie aus einem Möbelhauskatalog gezaubert: eine Schrankwand aus lackiertem Kiefernholz, ein dazu passendes Bücherregal, in dem sehr viele Bildbände standen, und eine niedrige Kommode mit vielen Schubladen.
    An der getäfelten Wand über dem Sofa hingen in einem Halbkreis mehrere lange Messer – wahrscheinlich Hirschfänger – und verliehen der Atmosphäre etwas Bedrohliches und Unheimliches. Die Klingen waren teilweise von Rost überzogen, die Griffe aus Horn, manche mit Schnitzereien versehen. Sie wirkten alt und ungepflegt, als habe Schuster sie vor Jahren dort angebracht und dann vergessen. Natascha dachte bei den vielen Jägerutensilien unwillkürlich an Herrn Robertson, den Jäger aus ihrer Kindheit.
    »Wir haben ein paar Fragen an Sie, Herr Schuster. Können wir uns setzen?«, bat Lorenz höflich.
    Anstatt etwas zu erwidern, nickte Schuster verlegen. Er machte einen ziemlich hilflosen Eindruck und blieb unschlüssig im Raum stehen, während Natascha und ihr Kollege Platz nahmen.
    Der Rentner rieb seine Hände aneinander und fragte schließlich: »Darf ich Ihnen einen Kaffee oder Wasser anbieten?«
    »Ich hätte gern einen Kaffee, bitte.« Lorenz lächelte ihn breit an. »Und für meine Kollegin auch.«
    Ein alter Trick. So konnten sie sich ungestört in dem erdrückenden Wohnzimmer umschauen. Die Einrichtung einer Wohnung verriet mehr über ihre Bewohner, als ihnen zumeist bewusst war.
    »Gern. Das dauert nur einen Moment.« Schuster drehte sich um und ging in die Küche.
    Natascha hörte ihn mit Geschirr klappern und Schranktüren öffnen und schließen. Mit einem Seitenblick auf die Hirschfänger an der Wand sagte sie zu Lorenz: »Auffällige Sammlung, oder? Ich würde mir so was jedenfalls nicht in die Wohnung hängen.«
    »Für manche Menschen ist zudem der Schritt vom Töten eines Tieres zum Töten eines Menschen nicht allzu weit«, meinte Lorenz, erhob sich und begutachtete die uralten Messer.
    Natascha stand ebenfalls auf und ging zum Bücherregal. Die Fotobände interessierten sie. Sie zog einen großformatigen Bildband heraus und hielt ihn Jörg Lorenz hin.
    »Ein Buch über Damwild in Deutschlands Wäldern. Und hier: Tierparks und Wildgehege im Münsterland .« Sie bückte sich und betrachtete die Buchrücken. Natur- und Landschaftsaufnahmen schienen ein besonderes Hobby von Schuster zu sein, die Bildbände füllten ein gutes Drittel des gesamten Regals.
    »Ich bin Jäger.« Natascha hatte nicht bemerkt, dass Schuster zurückgekommen war. Er hielt in jeder Hand eine weiße Porzellantasse; kleine silberne Löffel lagen auf den blumenverzierten Untertellern. »Mit Milch und Zucker?«
    Natascha schüttelte den Kopf. »Schwarz. Mein Kollege ebenfalls.« Obwohl es ihr bei dem Gedanken an schwarzen Maschinenkaffee grauste, lächelte sie den Rentner höflich an. Man wusste nie, wie lange manche Menschen die Milchpackungen schon geöffnet hatten,

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