Knochenfinder
noch einmal genauer mit der Person René Staudt beschäftigen. Wir müssen ihn besser kennenlernen, seine Motivationsstruktur herausfinden – müssen wissen, wie er tickt. Dann finden wir vielleicht einen Anhaltspunkt darauf, an welche Leute er sich gewandt haben könnte, als er von zu Hause weglief; und möglicherweise ist einer von ihnen sein Entführer.«
»Irgendwo ist er bestimmt; er kann ja schließlich nicht vom Erdboden verschluckt sein«, merkte Schmitz an und versuchte ein Grinsen, aber ihm gelang nur eine schiefe Grimasse.
Winterberg musste daran denken, dass Schmitz ein Spürhund war, ein Spurensucher. Für ihn gab es immer etwas zu finden, selbst wenn es die Größe eines Staubkorns hatte. Er und die anderen hingegen mussten sich bei ihrer Ermittlungsarbeit mit Indizien herumschlagen – und mit Lügen, Vertuschungsversuchen und mit mentalen Schwächen wie das Vergessen und Verdrängen.
Winterberg seufzte. »Vorhin war ich mit Natascha bei Renés Eltern, um die schlechten Nachrichten zu überbringen. Natürlich waren sie ziemlich fertig, als sie von den Fingern hörten. Aber sie haben uns auch einen weiteren Hinweis gegeben. Ein blutverschmiertes T-Shirt.«
Sofort setzte Schmitz sich aufrecht. »Ein blutverschmiertes T-Shirt? Wird es schon untersucht?« Er sah ihn an, als ob ihn die Information begeistern würde.
Winterberg musste jedoch seine Euphorie bremsen. »Es ist verschwunden. Die Mutter fand es vor wenigen Wochen, als sie den Bettbezug abnehmen wollte, hat es dann aber wieder unter das Laken zurückgelegt. Sie schiebt es auf den ersten Schreck. Als sie am nächsten Tag noch einmal nachschauen wollte, war es verschwunden. Sie hat wohl sogar im Müll danach gesucht, aber es war weg. Und wir wissen nicht, wessen Blut das war.«
»Das Shirt lag also im Bett, nicht wahr?«, vergewisserte sich Schmitz. »Dann können wir trotzdem noch was an der Bettwäsche oder der Matratze finden. Ich werde jemanden hinschicken.« Er wies mit dem Zeigefinger auf die Tür und blickte fragend.
»Geh und sag Bescheid, die sollen sich beeilen!«, erwiderte Winterberg. Er war erleichtert. Die Kollegen von der Kriminaltechnik würden ganz sicher eine Spur entdecken – irgendetwas, das ihnen weiterhelfen konnte. Denn was sie bisher herausgefunden hatten, war mehr als nur dürftig. Er dachte an Karin Staudt, die voller Verzweiflung auf dem Wohnzimmerteppich gehockt hatte, und an die Hoffnung in ihren Augen, als er die Möglichkeit erwähnte, dass René sie anrufen könnte. Doch er selbst vermochte diese Hoffnung nicht zu teilen – nicht nach dem, was sie bisher wussten. Im Unterschied zu Natascha ging er immer noch davon aus, dass sich René irgendwo in der Nähe aufhielt: Und dass weder die Hubschrauber noch die Helfer von THW, DRK oder Feuerwehr etwas gefunden hatten, stimmte ihn pessimistisch.
»Damit sollten wir weiterkommen«, sagte Dreisler, nachdem Schmitz fortgegangen war, und stand ebenfalls auf. Er nahm Block und Stift und ging zur Tür. »Sie schaffen das, Winterberg. Fahren Sie Ihre Tour weiter und melden Sie sich, wenn es Schwierigkeiten gibt. Sie wissen ja, wo Sie mich finden können.« Dreisler hob kurz die Hand zum Gruß und verließ den Raum.
Winterberg fiel der sprichwörtliche Stein vom Herzen. Dreisler vertraute ihm und hatte nicht vor, ihm in irgendeiner Weise hineinzureden. Das war gut und nahm ihm eine Last von den Schultern.
»Und was ist mit Renés Kumpel, diesem Manuel? Hast du ihn erreicht?«, erkundigte sich Natascha.
Lorenz sah sie erstaunt an. »Wer ist Manuel?«
»Ein Schulkamerad. Die beiden waren eine Zeit lang befreundet, aber René war irgendwann von ihm genervt. Ich wüsste gern, was das für ein Typ ist und was dazu geführt hat, dass die Freundschaft zwischen den beiden in die Brüche gegangen ist. Schließlich verfügte René nicht unbedingt über eine große Auswahl an potenziellen Freunden.«
»Ich werde den Jungen zu mir ins Büro bestellen, und zwar am späten Nachmittag«, entschied Winterberg. Er blickte auf die Uhr. »Wir haben jetzt halb vier. Und du wirst dabei sein, Natascha. Vorher fahren wir beide jedoch zum Lahnhof. Da oben im Rothaargebirge wurde am späten Vormittag ein Mittelfinger gefunden. Lorenz begibt sich zur gleichen Zeit nach Kreuztal, weil man dort einen Ringfinger entdeckt hat. Zum Glück wussten wir vor den Cachern Bescheid und haben Streifen zu den beiden Geocaches geschickt. Ich will mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn schon wieder
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