Knochenfunde
aber davon darf ich mich nicht beeinflussen lassen. Wo-möglich warst du ein Soldat oder ein Landstreicher oder irgendein anderes armes Opfer. Das ist egal. Auch du hast es verdient, nach Hause gebracht zu werden…«
»Keine Hinweise auf seine Identität, Lieutenant.« Officer Krakow zuckte die Achseln. »Und wir werden auch niemanden finden, der ihn erkennt. Die Jungs von der Spurensicherung sagen, er ist schon seit mindestens vier Tagen tot und hat mit dem Gesicht in einem Abwassergraben gelegen.«
»Seit vier Tagen?« Joes Blick wanderte zu den Kollegen von der Spurensicherung hinüber, die um die Einflussöffnung des Abwassergrabens herumstanden.
»Vielleicht auch länger. Sie wissen ja, es ist schwer, den Todes-zeitpunkt festzustellen, wenn eine Leiche dem Wetter ausgesetzt war. Wir werden auf die Aussage des Gerichtsmediziners warten müssen.«
»Was hat er denn an?«
»Teures Hemd. Keine Krawatte, aber maßgeschneiderte Hose.
Wahrscheinlich ein leitender Angestellter. Auf keinen Fall ein Obdachloser.« Krakow sah Joe neugierig an. »Das ist doch nicht Ihr Fall, oder, Sir? Suchen Sie irgendjemand bestimmten?«
»Vielleicht. Vielen Dank, Krakow.« Joe ging den Hügel hinunter.
Er sah die ausgestreckte Leiche schon von weitem. Die Größe konnte ungefähr hinkommen. Capel war groß und kräftig gewesen und hatte braunes Haar, das sich an der Stirn stark lichtete, aber die Haare konnte er von hier aus nicht sehen. Leitender Angestellter passte auf Capel, aber der Zeitpunkt des Todes musste noch festgestellt werden. Was die Verwesung betraf, kam es in erster Linie auf die Witterungsbedingungen an. Er hatte einmal erlebt, wie eine Frauen-leiche sieben Stunden nach Eintritt des Todes aus einem Kofferraum geborgen worden war, und er hätte schwören können, dass die Frau schon seit Tagen tot war.
Es musste nicht Capel sein. Er hoffte inständig, dass er es nicht war. Wenn diese Leiche sich als die von George Capel entpuppte, würden sich für den ganzen Schlamassel neue und gefährliche As-pekte ergeben.
»Hallo, Lieutenant.« Sam Rowley blickte auf, als Joe näher kam.
»Sieht so aus, als hätten wir einen Fall für Sie.«
Joe betrachtete die Leiche. Die Haare waren hellbraun, aber das Gesicht war so geschwollen und entstellt, dass er nicht erkennen konnte, ob das Haar sich an der Stirn lichtete.
»Mord?«
»Messereinstich im Rücken. Die Leiche weist zahlreiche Wun-
den auf, aber wir können noch nicht sagen, ob sie dem Mann vor oder nach dem Tod zugefügt wurden. Er liegt schon eine ganze Weile hier.«
»Ich muss wissen, wer es ist. Fingerabdrücke?«
»Könnte schwierig werden bei den aufgeweichten Händen.
Wahrscheinlich müssen wir es über die Zähne versuchen. «
»Wie lange wird das dauern?«
»Das Labor ist ziemlich überlastet. Vielleicht zwei Wochen.«
»Ich muss es jetzt wissen, Sam.«
Sam schüttelte den Kopf. »Reden Sie mit den Leuten vom Labor.
Sie wissen, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Mach ich.« Joe ging zurück zur Straße.
Messereinstich im Rücken. Zahlreiche weitere Wunden.
Sein Magen verkrampfte sich, als er in seinen Wagen stieg. Jetzt bloß nicht in Panik geraten. Er musste sofort aufs Revier fahren und alle Hebel in Bewegung setzen, um möglichst bald die Identität der Leiche in Erfahrung zu bringen.
Er konnte nur hoffen, dass es sich nicht um Capel handelte.
»Wie weit sind Sie denn mittlerweile?«, fragte Galen am Abend, als er Eve eine Tasse Kaffee einschenkte. »Sind Sie schon über die Voodoophase hinaus?«
»Morgen. Ich muss sehr langsam vorgehen, um sicher zu sein,
dass der Anfang stimmt.« Sie hob ihre Tasse. »Das war ein sehr gutes Essen, Galen.«
»Es war hervorragend. Sie sind bloß zu müde, um meine Koch-
kunst würdigen zu können.«
»Nein, bin ich nicht.« Sie sah ihn ernst an. Was war er doch für ein ungewöhnlicher Mann. Komplex, oberflächlich betrachtet um-gänglich und zwanglos, aber mit dunklen, geheimnisvollen Abgründen. Und dennoch hatte sie sich außer bei Joe noch nie bei einem Mann so sicher gefühlt. »Sie sind sehr nett zu mir, Galen.«
»Ich tue einfach meine Arbeit.«
»Nein. Seit ich im Krankenhaus zu mir gekommen bin, sorgen
Sie für mich wie eine Mutter.«
»Das ist meine Aufgabe. Ich bin für Ihr Wohlergehen zuständig.«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Und Sie machen’s mir leicht.
Bisher musste ich noch niemanden massakrieren oder in die Wüste schicken.«
Er scherzte. Oder nicht? Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher