Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
der Lehrerin Ausschau, die eigentlich während der ganzen Führung dabei sein sollte, »kommen wir zu einem der erfolgreichsten …«
»Können Sie lauter reden? Ich kann Sie nicht verstehen!«
»Ja, natürlich«, sagte sie, hob die Stimme und stellte überrascht fest, dass diese zitterte. »Dort drüben sehen wir einen der erfolgreichsten Prädatoren hier in der Gegend.«
»Predator? Wie im Film?«
Im ersten Moment hatte sie keine Ahnung, wovon der Junge sprach. Dann erinnerte sie sich daran, dass ihr Freund einmal von einem Film mit dem Titel Predator gesprochen hatte, in dem es um den Kampf gegen irgendwas Böses ging. Aliens?
»Wahrscheinlich nicht. Mit Prädator meine ich einfach ein Tier, das andere Tiere jagt und tötet, um zu überleben. Ein Karnivore.«
»Ein was?«
»Ein Fleischfresser. Wie ihr alle.«
»Ich nicht. Meine Mom ist Vegetarierin, und ich auch.«
»Das ist sehr lobenswert«, sagte sie und versuchte immer noch, die Kids zu einem der erstaunlichsten Exponate des Page-Museums zu scheuchen – einer Wand, an der in Schaukästen vierhundertundvier Schädel eines Tieres mit dem Namen Canis dirus angebracht waren, die von einem schimmernden goldenen Licht bestrahlt wurden. Als die Kinder sich näherten, verfielen einige in Schweigen, und andere murmelten etwas, das wie ein Lob klang. Und dann ging die Fragerei wieder los. »Sind das Hunde?«, »Warum sind das so viele?«, »Haben Sie die alle hier in der Gegend ausgegraben?« Genau in diesem Moment erspähte sie ihren Retter, der gerade in Richtung Hauptausgang vorbeieilte.
»Dr. Cox?«, rief sie laut und dann, als er sie nicht zu hören schien, »Dr. Cox? Hier drüben.« Sie winkte sogar hektisch mit einer Hand über die Köpfe der Kinder hinweg. »Könnten Sie vielleicht diesen Kids etwas über den Canis dirus erzählen?« Den Schülern vertraute sie an: »Dr. Cox hat mehrere von denen höchstpersönlich ausgegraben. Er ist ein sehr berühmter Paläontologe.«
Carter war auf dem Weg raus zur Pit 91, wo sich sein Team in wenigen Minuten versammeln würde, doch er konnte nie der Gelegenheit widerstehen, mit Schülern oder Studenten zu sprechen, vor allem, da die neue Dozentin den Eindruck erweckte, kurz vor dem Ertrinken zu sein.
»Sicher, der Canis dirus, der ›Schreckliche Hund‹ ist ein guter Freund von mir«, sagte er, kam mit großen Schritten herbei und stellte sich vor die Gruppe. »Früher einmal ist er in Rudeln hier durch die Gegend gezogen. Den Wilshire Boulevard rauf und runter, überall auf dem Bauernmarkt, im Hancock Park und in Koreatown und Century City.« Aus Erfahrung wusste er, dass es hilfreich war, die ausgestorbenen Tiere zunächst in einem modernen Zusammenhang darzustellen. Nicht nur, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen, sondern auch, um ihnen das Thema näherzubringen. Auf diese Weise konnte er verdeutlichen, dass die Tiere nicht irgendwo anders gelebt hatten, wie bei einem Filmset, sondern an genau denselben Stellen, an denen sie heute alle tagtäglich entlanggingen und, wie die Kinder seit ewigen Zeiten, herumblödelten. Seine Einleitung schien bereits den gewünschten Effekt zu haben.
»Warum nennt man ihn den dreckigen Hund?«
Carter war nach Lachen zumute, doch er wollte den Frager nicht in Verlegenheit bringen. »Er heißt«, antwortete er mit ernster Miene, » Schrecklicher Hund. Das Wort schrecklich bedeutet angsteinflößend, furchterregend. Und das waren diese Hunde.«
Er stand vor den prähistorischen Schädeln, die sich tiefschwarz gegen das gelbe Licht abhoben, angeordnet auf vier gewaltigen Regalen mit je sechzehn Reihen, und erklärte, wie sich diese Hunde von denen unterschieden, die man heute kannte. »Sie hatten einen schwereren Körperbau, die Brust war tiefer, die Hüften waren breiter und die Beine kürzer. Ursprünglich stammte der Canis dirus aus Südamerika, hatte sich jedoch vor 130000 Jahren in ganz Mittel- und Nordamerika ausgebreitet. Er war der dominierende Fleischfresser der Neuen Welt im späten Pleistozän.«
»Im späten was?«, fragte eines der Kinder, und Carter musste sich ermahnen, dass er nicht mehr vor Studenten der NYU stand.
»Pleistozän nennen wir die Zeitperiode, die vor zwei Millionen Jahren begann und vor zehntausend Jahren zu Ende ging.« Und um sicherzugehen, dass er immer noch ihre Aufmerksamkeit hatte, fügte er hinzu: »Der Schreckliche Hund hatte vielleicht ein kleineres Gehirn als irgendein Hund heute, aber er hatte auch viel größere und
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