Knochenjagd (German Edition)
Tatortfotos.«
»Das war nicht meine Frage.«
»Ich bin keine Polizistin.«
Ihr Kinn hob sich leicht.
»Ich habe die Fotos nicht gemacht. Aber ich war dabei, als sie geschossen wurden.«
Ich erwartete, dass sie mich davonjagen würde. Stattdessen wich sie einen Schritt zurück.
Ich betrat ein düsteres, kleines Zimmer mit einer uralten Waschmaschinen-Trockner-Kombination und Plastikkörben an einer Wand. Die Luft roch nach Kaminrauch, Waschmittel und Haushaltsreinigern.
Snook schloss die Tür, verriegelte sie und führte mich dann in eine sonnenhelle Küche. Sie legte die Akte auf die Arbeitsfläche und bot mir Tee an. Ich nahm an.
Während Snook den Kessel unter den Wasserhahn hielt und Teebeutel in Becher hängte, schaute ich mich um.
Schränke aus Astkiefer mit schmiedeeisernen Beschlägen säumten die Wände. An den Türen klebten Fotos von Tieren, die sie sorgfältig aus Kalendern oder Magazinen ausgeschnitten hatte. Ein Falke, eine Eule, ein Karibu, ein Nashorn. Ein Kalender des World Wildlife Fund hing an einer Wand. Aufkleber der Canadian Wildlife Federation, der Alberta Wilderness Association, des Sierra Club und der Federation of Alberta Naturalists bedecken die Kühlschranktür.
Auf einem kleinen Klapptisch unter einem Fenster mit gemusterten Gingham-Vorhängen stand ein Goldfischglas. Auf einem Stuhl mit Sprossenlehne döste ein gigantischer dreifarbiger Kater.
»Sie interessieren sich für Umweltschutz«, sagte ich.
»Jemand muss das ja machen.«
»Stimmt.«
»Dank der Farm-und Waldwirtschaft, dem Bergbau und der guten, alten Gier sind über die Hälfte der Spezies in dieser Provinz in Schwierigkeiten. Zwanzig sind gefährdet, zwei schon ganz verschwunden.«
»Tut mir leid, dass ich Ihren Koi-Teich beschädigt habe.«
»Der ist für Frösche. Sie vermehren sich im Frühling. Ich versuche, ihnen zu helfen.«
»Wunderschöner Kater«, sagte ich. War er nicht. »Wie heißt er?«
»Murray.«
Es war still im Haus. Ich fragte mich, ob Mr. Snook in einem anderen Zimmer war, und sperrte die Ohren auf, um vielleicht ein Gespräch mitzubekommen.
»Tut mir leid, dass ich Ihren Mann störe.«
»Ich bin nicht verheiratet.«
Der Wasserkessel pfiff.
»Sie sagten, Ihr Mann hätte Ihnen im Gold Range gestern einen Schlüssel gegeben.«
»Ich habe gelogen.«
»Warum?«
»Weil Sie nichts angeht, was ich tue.«
Okay.
Snook goss kochendes Wasser in die Becher. »Vor sechs Jahren ging Josiah auf ein Bier und kam nie mehr zurück.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht.«
Snook gab mir meinen Tee, und wir setzten uns an eine Essgruppe, die Generationen jünger war als alles andere im Zimmer. Laminierte Stuhlsitze und Tischplatte, weiße Arme und Beine.
Während Snook sich Zucker in ihren Becher löffelte, betrachtete ich ihr Gesicht und überlegte mir, wie ich weitermachen sollte. Sie nahm mir den Wind aus den Segeln.
»Ist meine Schwester wirklich tot?«
»Es tut mir sehr leid.«
»Jemand hat sie erschossen?«
»Ja.«
»Wer?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum zeigen Sie mir die?« Sie deutete mit dem Kopf auf die Arbeitsfläche.
Ich stand auf und holte den Ordner an den Tisch. »Das sind Fotos der Polizei und des Coroners.«
Ich klappte den Deckel auf. Obenauf lag ein Hochglanzfoto des Babys aus dem Toilettenschrank. Das Licht vom Fenster reflektierte auf dem Fotopapier, als ich es Snook zudrehte.
»In den letzten drei Jahren lebte ihre Schwester in der Nähe von Montreal in einer Stadt namens Saint-Hyacinthe. Vor sechs Tagen meldete sie sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Ausgehend von ihren Symptomen vermutete der diensthabende Arzt, dass sie kurz zuvor entbunden hatte. Da Annaliese leugnete, ein Baby gehabt zu haben oder schwanger gewesen zu sein, meldete er seinen Verdacht der Polizei. Am nächsten Morgen wurde dieses Baby in Annalieses Bad unter dem Waschbecken gefunden.«
Snook starrte in ihren Tee.
»Schauen Sie es sich an, Nellie.«
Snook legte den Löffel auf den Tisch und tat, was ich ihr gesagt hatte. Sie betrachtete die blinden Augen, den mit Maden gefüllten Mund, den winzigen, aufgeblähten Bauch. Dann ließ sie die Schultern hängen, sagte aber nichts.
Ich legte ein zweites Foto auf das erste. »Dieses Baby wurde in einer Fensterbank gefunden.«
Ein drittes. »Dieses da auf dem Dachboden.«
Ein viertes. »Das lag versteckt hinter einer Wand in Annalieses Wohnung in Edmonton.«
Ich ließ Snook Zeit, die grausige Realität zu verdauen, die ich da vor ihr
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