Knochenkälte
noch. Fünfzehn.
Ich meine, die Bestie hinter mir zu spüren, irre schnell und riesig greift sie nach mir, um mir den Rücken aufzuschlitzen und mir die Beine unter dem Körper wegzukicken.
Fünf Meter.
Ich hechte zur Hintertür und drehe mit eisstarren Fingern den Knauf. Ein Glück, dass hier niemand seine Haustür abschließt.
Als ich drin bin, schlage ich die Tür mit der Schulter zu und lege hastig den Riegel vor.
Ich kann’s nicht glauben. Ich atme noch immer.
Da ist ein Fenster neben der Tür. Ich ziehe die Gardine beiseite
und spähe in die Dunkelheit hinaus, wobei ich von der Scheibe Abstand halte, immer in der Erwartung, dass die Bestie gleich zu mir hereinbricht.
Aber die Nacht ist leer. Zumindest sagt mir das mein suchender Blick.
Aber ich weiß es besser.
fünf
Schlaf. Der große Radiergummi des Lebens.
Trennt jeden Tag vom nächsten ab, lässt das Gestern zu Geschichte werden. Und schenkt einem genug Abstand, dass man sich einmal schütteln und dann sagen kann: Was habe ich mir bloß dabei gedacht?
Die letzte Nacht war wirklich ein böser Traum, ein psychotischer Albtraum. Dem Hämmern nach zu urteilen, das im Takt meines Herzschlags in meinem Schädel wütet, könnte ich sogar eine Gehirnerschütterung haben. Mein Gedächtnis liegt in Scherben. Was ist wirklich, was Halluzination?
Seit Stunden liege ich hier und versuche, die Splitter wieder zusammenzufügen. Immer wieder schießen mir diese verrückten Bilder durch den Kopf, von diesem enormen Ding mit der Albino-Haut. Von silbernen Spiegelaugen. Von Zähnen. Endlosen Reihen rasiermesserscharfer Zähne.
Wie Schrapnell stecken diese Bilder verstreut in meinem Kopf fest. Schartige Scherben, die sich zu keinem gesunden Ganzen zusammensetzen lassen.
Ich muss mir den Kopf echt übel angestoßen haben, das steht schon mal fest. Der Rest sind wohl Trugbilder, die mein durchgerüttelter Schädel erzeugt.
Ich muss gestern Nacht wie ein entflohener Irrer ausgesehen haben, wie ich da atemlos und blind die Straße entlanggehetzt bin. Gejagt von irgendeinem streunenden Hund, den ich mir zu einem Höllenmonster aus einer Freakshow hochfantasiert habe.
Muss an der Gehirnerschütterung liegen oder einfach an den verrückten Sachen, die in dieser Nacht passiert sind - die todesverachtende Spritztour, die Überdosis Abgase, das Feuer, der Kuss.
Genau, der Kuss. Den hab ich mir doch nicht auch eingebildet, oder?
Ich schwinge mich aus dem Bett, stelle die Füße auf den kalten Boden und fröstele. Der Heizkessel in diesem Haus ist echt launisch - in manchen Nächten hält man es vor lauter Schwitzen nicht unter der Bettdecke aus, in anderen friert man bis zum Zähneklappern. Ich lege die Hand auf den Heizkörper. Na super, auf dem Ding könnte man Eiswürfel machen.
Ich ziehe die Gardinen beiseite. Mein Fenster ist voller Eisblumen, nur in der Mitte ist noch ein kleiner freier Fleck, durch den man durchschauen kann. Der See sieht im Morgenlicht ziemlich trostlos aus und der Wind scheucht Schneeräder über seine zugefrorene Oberfläche.
Ich will mich schon wegdrehen und noch ein halbes Stündchen Schlaf nachlegen, als ich plötzlich eine Gestalt sehe, die, in einen Parka gehüllt, einen der hölzernen Stege entlanggeht, an Booten vorbei, die unter ihrer Abdeckplane in der festen Umklammerung des Eises überwintern. Der Wind schiebt die Kapuze des Parkas nach hinten, sodass ich die orangefarbene Wollmütze darunter erkennen kann.
Dieser Irre! Kaum schiebt sich die Sonne über den Horizont, schon wandert Dad in der Polarluft da draußen herum. Schon pathologisch, diese Schlaflosigkeit. Keine zwei Stunden schläft er mehr pro Nacht, seit...
Seit Mom gestorben ist.
Nein! Daran werde ich jetzt nicht denken.
Ich setze einen Fuß auf den anderen, um die Kontaktfläche zur hölzernen Eislaufbahn meines Zimmerfußbodens möglichst klein zu halten. Wie gern würde ich noch mal unter die Bettdecke krabbeln und die süße Kuhle finden, den einen Flecken, an dem sich noch ein Rest Körperwärme gehalten hat. Aber wenn ich mich jetzt wieder verkrieche, komme ich vor dem Frühling bestimmt nicht mehr raus.
Bevor ich ins Badezimmer gehe, muss ich den Türstopper wegtreten, den ich letzte Nacht unter die Tür geklemmt hatte, um Dämonenhunde und andere Trugbilder auszusperren.
Ich konnte nämlich nicht einschlafen, bevor ich nicht ein halbes Dutzend Mal nachgeprüft hatte, ob das Fenster wirklich komplett verriegelt war. Sogar in den Wandschrank hab ich
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