Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
noch etwas anderes, das mir keine Ruhe ließ.
Was? Etwas, das ich gesehen hatte? Etwas, das ich gehört hatte? Das Gefühl war wie ein seltsames Jucken, das ich nicht richtig kratzen konnte.
Um Viertel nach neun rief Ryan an.
»Was tust du?«
»Lese gerade das Etikett meines Magensäurehemmers.«
»Du lebst wirklich gefährlich.«
»Was dachtest du, was ich tue?«
»Vielen Dank für deine Hilfe heute.«
»War mir ein Vergnügen.«
»Weil du gerade von deinem Vergnügen sprichst –«
»Ryan.«
»Okay. Aber ich mache es wieder gut, wenn wir in den großen weißen Norden zurückkehren.«
»Wie?«
»Ich lade dich zu Cats ein.«
Plötzlich wusste ich, wo es mich juckte.
»Ich muss los.«
»Was ist denn los? Was hab ich gesagt?«
»Ich rufe dich morgen an.«
Ich legte auf und wählte Galianos Nummer. Er war nicht da. Verdammt.
Ich griff zum Telefonbuch.
Bingo.
Ich wählte.
Señora Eduardo meldete sich nach dem ersten Klingeln.
Ich entschuldigte mich für den späten Anruf. Sie tat es ab.
»Señora Eduardo, als Sie Buttercup schimpften, sagten Sie ihm, er solle zu den anderen gehen. Meinten Sie damit andere Katzen?«
»Leider ja. Vor zwei Jahren tauchte ein Wurf Kätzchen in dem Stall auf, in dem meine Tochter ihr Pferd untergestellt hatte. Patricia hatte zwei davon adoptiert und die anderen weggegeben. Sie wollte die Kätzchen hierher bringen, aber ich sagte, Buttercup sei genug. Sie wurden im Stall geboren, und dort sollten sie auch bleiben. Das lief gut, bis Patricia nicht mehr hinging.«
Sie hielt inne. Ich stellte mir ihre Augenlider vor, die sich wie ein altes Hippiepaar bewegten, langsam und unabhängig.
»Vor ungefähr drei Wochen rief der Besitzer des Stalls an und bestand darauf, dass ich die Katzen übernehme, sonst würde er sie ertränken. Buttercup ist zwar nicht begeistert, aber jetzt sind sie hier.«
»Wissen Sie, wer die anderen Kätzchen übernommen hat?«
»Familien hier in der Gegend, nehme ich an. Patricia hat die Nachbarschaft mit Rundschreiben zugepflastert. Wir haben ungefähr ein Dutzend Anrufe bekommen.«
Ich räusperte mich.
»Sind das Kurzhaarkatzen?«
»Stinknormale Stallkatzen.«
Dominique Specters Telefon läuterte viermal, dann bat eine männliche Stimme auf Englisch und Französisch um eine Nachricht. Ich hinterließ eine nach dem Signalton.
Ich bearbeitete meine Zähne eben mit Zahnseide, als das Telefon klingelte. Es war Mrs. Specter.
Ich fragte nach Chantale.
Gut.
Ich fragte nach dem Wetter in Montreal.
Warm.
Offensichtlich war sie nicht zum Plaudern aufgelegt.
»Ich habe nur eine Frage, Mrs. Specter.«
»Oui.«
»Woher hatten Sie Guimauve?«
» Mon dieux. Da muss ich nachdenken.«
Ich wartete, während sie das tat.
»Chantale entdeckte in einer Apotheke einen Zettel. Wir riefen an. Es gab noch Kätzchen, also fuhren wir hin und suchten uns eins aus.«
»Wohin sind Sie gefahren?«
»Eine Art Stall. Mit Pferden.«
»In der Nähe von Guatemala City?«
»Ja. Aber an den genauen Ort kann ich mich nicht mehr erinnern.«
Ich dankte ihr und legte auf.
Würden die Fehler, die ich in diesem Fall machte, denn nie ein Ende nehmen? Was für ein Idiot war ich doch. Ich hatte mit Ryan darüber gesprochen, aber selber den Zusammenhang nicht begriffen.
Die Haare bei den Knochen aus dem Faultank stammten nicht von Guimauve. Sie stammten von einem Tier aus Guimauves Wurf. Guimauves Geschwister. Ein Tier mit identischer mitochondraler DNS. Patricia Eduardos Stallkatzen hatten die Haare verloren, die ich an ihrer Jeans gefunden hatte.
André Specter war kein Mörder. Nur ein geiler Schleimer, der seine Familie betrog und gutgläubige junge Frauen verführte.
Beim Einschlafen wirbelten mir unzählige Fragen durch den Kopf.
Wer war der Mörder von Patricia Eduardo?
Warum hatte Díaz verhindern wollen, dass ich die Leiche identifiziere?
Warum hatten Patricia Eduardo und Dr. Zuckerman gestritten?
Wie viele Leute waren für Chupan Ya verantwortlich? Wer hatte auf Molly und Carlos geschossen? Was hatte Ollie Nordstern gefunden, das ihn das Leben kostete?
Warum konnten wir es nicht finden?
Woher das Interesse an der Stammzellenforschung?
Nur Fragen, keine Antworten.
Ich schlief unruhig.
Galiano kam erst um halb neun. Bis dahin hatte ich drei Tassen Kaffee getrunken und kribbelig wie ein Ameisenstaat. Er brachte mir Tasse Nummer vier.
Ich kam sofort zur Sache und berichtete ihm von meinen Unterhaltungen mir Señora Eduardo und Mrs. Spencer. Er
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