Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
zeigte keine Überraschung. Konnte natürlich sein, dass ich sie hinter seiner Darth-Vader-Brille einfach nicht erkannte.
»Jemand von seinem Personal war ziemlich auskunftsfreudig«, sagte Galiano. »Wie’s aussieht, ist Specter ein Lüstling, aber ansonsten harmlos.«
»Was ist gestern Abend passiert?«
»Anscheinend hat Pera ihn gewarnt. Er ist nicht aufgetaucht.«
An diesem Freitagvormittag ging es in der Klinik ziemlich geschäftig zu. Mindestens ein Dutzend Frauen saßen auf den Stühlen im Wartezimmer. Einige hielten Babys. Die meisten waren schwanger. Andere waren hier, um es nicht zu werden.
Vier Kleinkinder spielten mit Plastikspielzeug auf dem Boden. Zwei Altere malten an einem Kindertisch Bilder bunt aus, eine Schachtel mit Kreiden in der Mitte zwischen ihnen. Die Wand hinter ihnen war ein Dokument des Überschwangs von tausenden ihrer Vorgänger. Fußabdrücke. Essensflecken. Kreidegraffiti. Kerben von Spielzeugautos.
Galiano ging zur Empfangsdame und bat um einen Termin bei Dr. Zuckerman. Die junge Frau schaute hoch, und Licht reflektierte in ihrer Brille. Sie riss die Augen auf, als sie die Marke sah.
» Un momento, por favor. «
Sie lief einen Korridor entlang, der rechts von ihrem Tisch abging. Zeit verstrich. Die Frauen starrten uns mit großen, ernsten Augen an. Die Kinder malten weiter aus, die Gesichter angespannt in dem Bemühen, innerhalb der vorgezeichneten Linien zu bleiben.
Erst volle fünf Minuten später kam die Empfangsdame zurück.
»Tut mir Leid. Dr. Zuckerman kann Sie nicht empfangen.« Sie deutete mit nervöser Hand auf die Uterusbrigade. »Wie Sie sehen, haben wir heute Vormittag viele Patientinnen.«
Galiano starrte ihr direkt in die Brille.
»Entweder Dr. Zuckerman kommt heraus – und zwar sofort –, oder wir gehen da rein.«
»Sie dürfen nicht ins Untersuchungszimmer.« Fast ein Flehen.
Galiano wickelte einen Kaugummi aus und steckte ihn sich in den Mund, ohne den Blick von der Frau zu nehmen.
Die Empfangsdame seufzte tief, warf die Hände in die Luft und ging denselben Weg noch einmal.
Ein Baby fing an zu weinen. Mama hob die Bluse an und führte den Mund des Säuglings an ihre Brustwarze. Galiano nickte und lächelte. Mama wandte sich ab.
Am Ende des Gangs flog eine Tür auf. Zuckerman kam in das Wartezimmer gestürmt wie eine Dampflokomotive. Sie war eine dicke Frau mit sehr kurz geschnittenen schmutzig blonden Haaren. Zu Hause selbst geschnitten. In schlechtem Licht. Mit einer stumpfen Schere.
»Was bilden Sie sich eigentlich ein?« Englisch mit Akzent. Ich tippte auf Australisch.
Die Empfangsdame schlich sich hinter ihren Tisch und beugte sich über etwas, das darauf lag.
»Sie können doch nicht einfach hier rein platzen, meine Patienten traumatisieren –«
»Sollen wir sie noch mehr traumatisieren, oder wäre es Ihnen lieber, wenn wir das irgendwo besprechen, wo wir unter uns sind?« Galiano schenkte der Ärztin ein eisiges Lächeln.
»Sie verstehen wohl einfach nicht, Sir. Ich habe heute Morgen keine Zeit für Sie.«
Galiano griff unter seine Jacke, zog Handschellen hervor und hielt sie ihr vors Gesicht.
Zuckerman starrte ihn böse an.
Galiano ließ die Schellen weiter baumeln.
»Das ist ja lachhaft.«
Zuckerman wirbelte herum und stürmte den Gang wieder hoch. Wir folgten ihr, vorbei an mehreren Untersuchungszimmern. In mehr als einem sah ich Frauen, die mit einem Laken bedeckt auf Untersuchungspritschen lagen, die Beine auf den Halteschienen arretiert. Ich beneidete sie nicht um die Verzögerung.
Zuckerman führte uns an einer Bürotür mit ihrem Namen vorbei und in ein Zimmer, das Stühle und eine TV-Video-Anlage enthielt. Ich stellte mir die Lehrvideos vor. Tipps für die Brustuntersuchung. Erfolg mit der Rhythmusmethode. Wie man das neue Baby badet.
Galiano kam gleich zur Sache.
»Sie waren Patricia Eduardos Vorgesetzte im Hospital Centro Médico.«
»Ja.«
»Gibt es einen Grund, warum Sie das nicht erwähnten, als wir miteinander sprachen?«
»Sie hatten mich nach unseren Patienten gefragt.«
»Nur damit ich Sie richtig verstehe, Doktor. Ich kam her, um Sie nach drei Frauen zu fragen. Eine davon war in einem anderen Krankenhaus Ihre Untergebene, und Sie haben mir das nicht gesagt?«
»Es ist ein häufiger Name. Ich war sehr beschäftigt. Ich sah den Zusammenhang nicht.«
»Verstehe.« Sein Ton deutete an, dass er das nicht tat. »Na gut. Dann reden wir eben jetzt über sie.«
»Patricia war eins von vielen Mädchen unter
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