Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
als Argumente für die Aufhebung seiner Immunität verwendet werden.«
»Der Senderstaat entscheidet also über sein Schicksal.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Ryan saß in dem Besprechungszimmer im zweiten Stock, in dem ich meine erste Begegnung mit Antonio Díaz, dem leider so einprägsamen Bezirksstaatsanwalt hatte. Bücher, Zeitschriften, Broschüren, Notizbücher und Aktenordner lagen, zu Stapeln geordnet, vor ihm auf dem Tisch.
Ryan hatte das Kinn auf die Handfläche gestützt und hörte Kassetten in einem Diktafon ab, das genauso aussah wie das Gerät, das Nordstern bei unserem Interview benutzt hatte. Rechts von ihm lagen mindestens ein Dutzend Kassetten. Links lagen zwei.
Als er uns sah, drückte Ryan auf Stopp und lehnte sich zurück.
»Mann, das ist vielleicht krass.«
Galiano und ich warteten.
»Unser einstiger und zukünftiger Pulitzer-Preisträger hat mit einer Menge sehr wütender Leute gesprochen.«
»In Chupan Ya?«, fragte ich.
»Und in anderen Dörfern, die die Armee überfallen hat. Das war ja die reinste Gestapo da unten.«
»Hast du was gefunden, das den Anschlag auf Nordstern erklärt?« Galiano pflanzte eine Hinterbacke auf die Tischkante.
»Vielleicht. Aber woher soll ich wissen, was es ist?«
Ich nahm ein halbes Dutzend Kassetten in die Hand. Jede trug einen Namen. Viele waren Maya-Namen. Señora Ch’i’ps Sohn. Ein alter Mann aus einem Dorf westlich von Chupan Ya.
Einige Kassetten enthielten mehrere Interviews. Mateo teilte sich eine mit Elena Norvillo und Maria Paiz. T. Brennan bildete ein Paar mit E. Sandoval.
»Wer ist E. Sandoval?«, fragte ich.
Galiano zuckte die Achseln.
»Nordstern muss dieses Interview gleich nach deinem gemacht haben.«
Ryan atmete tief durch. Ich drehte mich zu ihm. Er sah erschöpft aus.
»Wenn du Hilfe brauchst, kann ich Mateo sagen, dass ich vor morgen nicht weg kann.«
Ryan schaute mich an, als hätte ich ihm eben gesagt, dass er in der Lotterie gewonnen hatte.
»Könnte nicht schaden. Du weißt mehr über dieses Zeug als ich.« Er deutete mit dem Daumen auf einen Koffer, der unter den Fenstern auf dem Boden stand. »Du darfst Nordsterns Unterwäsche durchwühlen.«
»Nein, danke. Einmal schmutzige Shorts reicht mir.«
Galiano stand auf.
»Ich muss mit Hernández einen abendlichen Ausflug vorbereiten.«
Ryan hob die Augenbrauen.
»Tempe kann’s dir erklären. Muss eine Strategie ausarbeiten.«
»Was soll ich tun?«, fragte ich.
»Schau dir die Bücher und Papiere an, während ich mich durch die Interviewkassetten arbeite.«
»Wonach suche ich?«
»Nach allem Möglichen.«
Ich rief Mateo an. Er hatte kein Problem mit der Verzögerung. Ich fragte ihn nach E. Sandoval. Er erklärte mir, dass Eugenia Sandoval für CEIHS arbeite, das Centro de Investigaciones de Historia Social. Nachdem ich aufgelegt hatte, sagte ich es Ryan.
»Schätze, das ergibt einen Sinn.«
Ich nahm mir die Bücher und Zeitschriften und setzte mich Ryan gegenüber. Einige Veröffentlichungen waren auf Spanisch, die meisten auf Englisch.
The Massacre at El Matote: A Parable of the Cold War; Massacres in the Jungle, Ixcán, Guatemala, 1915-1982; Persecution by Proxy: The Civil Patrols in Guatemala, Robert E Kennedy Center for Human Rights. Harvest of Violence: The Maya Indians and the Guatemala Crisis; ein Bericht von Americas Watch vom August 1986: Civil Patrols in Guatemala.
»Sieht aus, als hätte Nordstern seine Hausaufgaben gemacht.«
»Bis er Bonuspunkte bekam.«
»Hat schon jemand mit der Chicago Tribune gesprochen?«
»Wie’s aussieht, war Nordstern ein Freischaffender, der eigentlich gar nicht für die Zeitung arbeitete. Aber die Tribune gab ihm den Auftrag, einen Artikel über Clyde Snow und die FAFG zu schreiben.«
»Woher dann dieses Interesse an Stammzellen?«
»Ein anderer Artikel?«
»Vielleicht.«
Zwei Stunden später stießen wir auf etwas.
Ich blätterte eben in einem Fotojournal der La Lucha Maya, einer Sammlung ganzseitiger Farbporträts. Häuser mit Strohdächern in Santa Clara. Ein Junge, der im Atitlán-See fischte. Eine Taufe in Xeputúl. Männer, die Särge von Chontalá zum Friedhof in Chichicastenango trugen.
Anfang der Achtziger exekutierte die Zivilpatrouille auf Befehl der örtlichen Militärs in Chontalá siebenundzwanzig Dorfbewohner. Ein Jahrzehnt später exhumierte Clyde Snow die Überreste.
Gegenüber der Begräbnisprozession das Foto junger Männer mit automatischen Waffen. Mitglieder einer
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