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Knochenpfade

Knochenpfade

Titel: Knochenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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übergeben zu müssen. Er hatte noch nie Leichenteile gesehen. Jedenfalls nicht so – abgeschnitten und nachlässig aufgereiht zum Abspülen und Verpacken. Sein Unwohlsein war ihm wohl anzusehen.
    “Was hast du denn gedacht, wie es gemacht wird, Kumpel?”, fragte Joe Black und schob sich die Schutzbrille hoch in sein zerzaustes Haar. “Unglücklicherweise gibt es keine würdevolle Art, einen Leichnam auseinanderzunehmen. Das ist eine ziemliche Sauerei.”
    “Ich bin wohl einfach … so was hab ich nicht erwartet.”
    Er war nicht fähig, sich von der Stelle zu rühren. Ließ den Blick immer wieder hektisch durch den Raum huschen. Er wollte nicht über den Pressspansarg steigen, der vor ihm auf dem Boden stand. Er wollte überhaupt nicht in diesen Raum gehen.
    “Du gewöhnst dich schon noch dran”, versicherte Joe ihm.
    Er griff nach einem Gerät, das wie ein gewöhnliches Tranchiermesser aussah. Als er zu Scott hinüberblickte, bemerkte er, wie der zusammenzuckte, und legte das Messer wieder beiseite.
    “Am Anfang ist es ein bisschen merkwürdig.” In seinem Tonfall lag nichts Herablassendes. Er klang mehr wie ein Lehrer, der seinem Schüler etwas erklärte. “Man lernt eine Menge einfach nur aus der Praxis. So nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Eigentlich ist es nicht viel anders, als den Thanksgiving-Braten zu tranchieren”, fügte er grinsend hinzu.
    Joe wandte sich wieder zum Tresen um und nahm eines der Teile, die dort aufgereiht lagen. Scott hätte nicht sagen können, was es war. Er wollte eigentlich gar nicht hinsehen, aber trotzdem verfolgte er Joes Handgriffe wie hypnotisiert. Wie er die Plastikfolie abzog und das Stück fast ehrfürchtig darin einwickelte.
    “Ich versuche, nichts zu vergeuden”, erzählte Joe weiter. Er stand mit dem Rücken zu Scott und begann das nächste Körperteil in der Reihe einzupacken. “Das ist doch das Mindeste, was man tun kann, wenn jemand so großzügig ist, seinen Körper zu spenden, oder? Jede Woche erlernen Chirurgen neue, innovative Techniken. Und dazu wären sie nie in der Lage, wenn ich ihnen nicht die Arbeitsmodelle dafür besorgen würde.”
    Scott war Joe dankbar, dass er nicht weiter auf seine Reaktion einging. Stattdessen blieb er vollkommen ruhig, obwohl Scott sich wie ein Idiot aufführte. Er hatte genau gewusst, worauf er sich da einließ, und jede Menge dazu gelesen. Über den Inhalt der Päckchen, die Joe ihm bisher zum Aufbewahren geschickt hatte, war er sich ebenfalls im Klaren gewesen. Obwohl er sich jetzt eingestehen musste, dass es natürlich einfacher war, lediglich die Lieferungen per UPS oder FedEx entgegenzunehmen und in den begehbaren Kühlschrank oder die anderen Kühlregale zu schaffen.
    Die ganze Zeit hatte er geahnt, dass sich in den Päckchen Körperteile befanden, und er wusste, dass sie für Schulungskonferenzen und die Forschung bestimmt waren. Joe hatte sich ja von Anfang an damit gerühmt, dass die Chirurgenkongresse seine Spezialität seien. Auf dem Papier und in seiner Vorstellung hatte Scott Larsen diese zusätzlichen Einnahmen mit der guten Sache gerechtfertigt, für die es war. Also würde er sich jetzt zusammenreißen.
    Genauso wie das Einbalsamieren und das Verbrennen war das hier einfach eine geschäftliche Angelegenheit.
    “Du hast hier wirklich eine tolle Ausstattung”, sagte Joe Black und blickte sich anerkennend um, bevor er sich dem anderen Torso zuwandte, der auf dem Nebentisch lag. “Und mach dir keine Sorgen. Ich werde nachher alles gründlich reinigen. Es wird genauso glänzen, wie du es hinterlassen hattest.”
    “Oh, darüber habe ich mir keine Sorgen gemacht.”
    Scott wollte bei Joe nicht den Eindruck erwecken, er hätte Probleme mit all dem. In dem Versuch, ihr kameradschaftliches Verhältnis wiederherzustellen, zeigte er sich nun an Joes Arbeit interessiert. “Ich nehme an, für diese … Stücke gibt es schon Bestellungen?”
    “Sogar mehr, als ich liefern kann.” Joe holte einen Tiegel Wick Vaporub hervor, tauchte mit dem Finger hinein, um einen Klumpen herauszuholen, und begann es auf dem Torso zu verteilen. “Es ist nicht leicht, die Nachfrage zu befriedigen.”
    “Was machst du da genau?”
    “Ein kleiner Geschäftstrick. Die Torsen sind bei Herstellern von medizinischen Geräten zur Vorführung ihrer Produkte und neuen Techniken sehr begehrt. Manchmal arbeiten die Chirurgen stundenlang an ihnen. Na ja, ich muss das wohl nicht weiter ausführen. Du weißt ja, wie widerlich das nach zwei

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