Knochenpfade
er jetzt die Hintertür öffnete, blickte er sich suchend nach einem Fahrzeug um. Jedes Mal, wenn er ihn traf, fuhr Joe Black ein anderes Auto. Scott nahm an, dass er immer mit einem Mietwagen unterwegs war. Am Abend zuvor war Joe ja den Strand entlangspaziert gekommen, deshalb hatte Scott keine Ahnung, was für ein Auto er diesmal benutzte. Aber er konnte nirgends ein Fahrzeug sehen. Ob er seine Arbeit schon beendet hatte? Oder vielleicht war er noch gar nicht angekommen.
Scott stellte die Alarmanlage ab. Er hatte gerade den Schlüssel ins Schloss geschoben, als er stutzte. Was ratterte da hinter dem Gebäude? Schnell warf er einen Blick um die Ecke. Ein verrosteter alter Einkaufswagen klemmte zwischen einem Magnolienbaum und dem Müllcontainer.
Verdammt! Er hasste es, wenn sich Leute auf seinem Grundstück herumtrieben und dann auch noch ihren Abfall dort ließen. Die Müllabfuhr kostete ein Schweinegeld.
Immer noch leise fluchend, schloss er die Tür auf und betrat das Gebäude. Gleich anschließend setzte er die Alarmanlage wieder in Gang.
Scott wusste, dass er nicht ohne Grund Bestatter geworden war. Er arbeitete nicht gern mit Menschen. Sicher, um die Hinterbliebenen musste er sich kümmern. Aber wenn diese Leute zu ihm kamen, waren sie total am Ende. Sie sahen ihn automatisch als Autorität an, das machte es einfacher.
Die Arbeit mit den Toten störte ihn nicht. Trish meinte immer, es wäre ekelhaft, Leichen zu schminken und ihre Haare zu frisieren. Manchmal musste er sogar die Gesichtsfarbe nachmalen und die ein oder andere undichte Körperöffnung zunähen. Und dann gab es diese Plastiklinsen, die er unter die Lider klemmte, damit die Augen nicht während der Trauerfeier aufklappten.
Nicht einmal das Blut störte ihn. Er ließ es aus den Venen ab und ersetzte es mit einer konservierenden Flüssigkeit. Klar, manchmal lief ein bisschen Blut daneben. Aber es spritzte und sprudelte ja nicht mehr durch die Gegend wie bei schweren Verletzungen, wenn das Herz des Opfers noch schlug. Und genau deshalb war Scott auf den Anblick, der sich ihm jetzt bot, nicht vorbereitet.
Er schnappte nach Luft und musste sich an der Wand abstützen, um nicht in die Knie zu gehen.
Eine rosarote Flüssigkeit breitete sich auf dem weißen Linoleumboden aus und füllte die Rinnen längs der Edelstahltische. Direkt neben der Tür stand einer der Pressspansärge, in denen Scott normalerweise die Leichen zum Krematorium brachte. Nur war dieser hier jetzt voll mit alten Kleidern. Dahinter lag auf einem der Tische ein verstümmelter Körper – Kopf, Arme und Beine fehlten. Die Leiche auf dem anderen Tisch wirkte fast friedlich, bis Scott bemerkte, dass jemand die Knie und Füße abgesägt und sie zwischen die Beine gelegt hatte.
Joe Black stand am Tresen. Als er sich umdrehte, sah Scott, dass sein Laborkittel, die Latexhandschuhe und die Überziehschuhe vor Blut trieften. Black grinste ihn unbekümmert an.
“Ach, hallo Scott. Du kommst genau richtig. Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen.”
15. KAPITEL
Pensacola Beach
Maggie starrte auf den Hubschrauber und den orangefarbenen Fliegeranzug, den man ihr entgegenhielt. Offensichtlich hatte sie nicht richtig nachgedacht, als sie darum bat, dass man ihr den Fundort zeigte. Das hier war die Küstenwache, verdammt noch mal. Benutzten die nicht Boote?
Ein Hubschrauber. Sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Es war ja schon kaum auszuhalten, in einem Linienflugzeug festzusitzen. Wie sollte sie das denn in einem Helikopter überstehen?
“Wäre es nicht einfacher, sich das von einem Boot aus anzusehen?”, sagte sie, ohne nach dem Fliegeranzug zu greifen, den ihr die junge Frau geben wollte.
Sie hoffte, dass sie sich mit ihrer Frage nicht lächerlich machte. Allein bei dem Gedanken, in diesen Hubschrauber zu steigen, wurde ihr schon leicht übel. Sie schob sich die Sonnenbrille über die Stirn nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie versuchte auszusehen, als wäre es ihr eigentlich egal, wie sie weiter vorgingen. Auf keinen Fall wollte sie, dass das Rettungsteam ihr Zögern als Angst interpretierte. Das Offenlegen ihrer Schwäche wäre kein guter Start für diese Untersuchung. Damit würde sie ganz sicher ihre Glaubwürdigkeit untergraben, ganz zu schweigen von ihrer Autorität. Besonders vor dieser Machotruppe hier durfte sie keinen Rückzieher machen oder ihre Angst auch nur ansatzweise zeigen. Sie waren bis auf Pete Kesnick alle noch ziemlich jung, schlank und
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