Knochenpfade
Reling kommen. Kein weiteres Gewicht auf die abgesenkte Seite, oder das Boot würde ins Schlingern geraten. Es bewegte sich mit der Strömung. Sobald Wilson mit dem Hubschrauber herunterkam, würde es durch den Luftzug der Rotoren noch stärker schwanken. Beim ersten Notruf hatte der Mann angegeben, verletzt zu sein. Wenn sie den Korb auf das krängende Boot setzten, würde Liz den Schiffbrüchigen irgendwie aus dem Wasser aufs Boot und dann in den Rettungskorb transportieren müssen.
“Das Abseilen wird schwierig”, sagte Kesnick. “Nicht zu schnell, und überanstreng dich nicht. Lass mich den Abwurf kontrollieren.”
Liz stellte fest, dass er mit ihr redete. Sie sah zu ihm hoch.
“Überlass den anstrengenden Teil mir, Bailey. Wir müssen ihn vielleicht mit dem Rettungsgurt sichern, um ihn überhaupt in den Korb zu bekommen. Leg den Gurt unter seinen Armen an. Ich werde ihn hochheben, während du ihn in den Korb dirigierst. Okay? Ich will euch nicht beide unter dem verdammten Boot verschwinden sehen. Verstanden?”
Sie nickte. Machte das Okay-Zeichen mit erhobenem Daumen. Tief durchatmen. Als sie den Helm vom Kopf ziehen wollte, hörte sie Wilson sagen: “Wir haben eine zu bergende Person, Bailey. Es sei denn, du findest noch jemanden im Wasser. Der Korb kommt nur einmal runter. Wir werden ihn nicht noch mal für den Hund runterlassen. Hast du verstanden, Bailey? Das hier ist nicht New Orleans nach Katrina. Der Hund kommt nicht hier rauf. Der wird auf den Kutter warten müssen.”
Liz riss sich den Helm vom Kopf, ohne darauf zu antworten. Während sie ihre Taucherkappe über das Haar stülpte und den Sedahelm aufsetzte, mied sie absichtlich O’Dells Blick.
Sie kontrollierte noch einmal ihre Ausrüstung und den Sitz der Gurte. Das Adrenalin pumpte durch ihren Körper, sie musste sich etwas beruhigen. Nur ein kleines bisschen runterkommen, damit sie ihre Arbeit gut machen konnte. Sollten sie reden, so viel sie wollten, alles analysieren und jedes Detail diskutieren. Aber wenn sie erstmal draußen im Sturm an dieser Leine hing, dann war es Liz, die am Rand des sinkenden Kreuzers balancierte. Es wäre ihre Aufgabe, den Überlebenden in den Korb zu schaffen, bevor er überhaupt hochgezogen werden konnte. Und es ging um ihren Arsch, wenn das nicht funktionierte.
Sie hockte sich in Startposition an die Türöffnung. Kesnick wartete darauf, dass sie ihn ansah. Sein Blick blieb etwas länger als gewöhnlich auf sie gerichtet. “Lass mich dir helfen.” Vielleicht hatte er ihre Gedanken gelesen.
Sie nickte, und er tippte ihr aufs Schlüsselbein. Sie hob die Daumen zum Okay und kletterte hinaus. Einen knappen Meter seilte sie sich ab, dann stoppte sie und wartete, dass das Sicherungskabel sich straffte. Aber stattdessen wurde es vom Wind erfasst. Es schlingerte und riss Liz herum, als hinge sie an einer Peitsche. Durch den Luftzug der Rotoren begann sie hin und her zu schwingen. Ein weiteres Rucken am Sicherungskabel ging ihr schmerzhaft durch die Wirbelsäule. Dann begann sie sich zu drehen. Es war, als würde sie in einen Windkanal gesaugt.
Liz sah alles nur noch verschwommen, während sie sich fest an ihr Seil klammerte. Sie schloss die Augen, klemmte die Leine zwischen ihre Hacken und schaffte es, die Füße zu kreuzen. Das Kinn hatte sie fest auf die Brust gedrückt, damit sich das Seil nicht um ihren Hals wickelte. Sie machte sich so steif wie möglich.
Sie tat alles, was man in einer solchen Situation tun musste. Doch sie drehte sich immer schneller.
18. KAPITEL
Pensacola Bay
Maggie beobachtete, wie die Rettungsschwimmerin aus dem Helikopter sprang. Sekunden später sah sie, dass der Flugmechaniker Kesnick mit dem Kopf voran auf die Türöffnung zuschlitterte, als würde er hinter Bailey hinausgezogen.
Maggie reagierte automatisch. Sie riss hektisch an ihren Haltegurten, als sie sie mit den Handschuhen nicht schnell genug lösen konnte. Dann griff sie nach Kesnicks Sicherheitsgurt, der noch immer an einem Drahtseil auf dem Kabinenboden eingeklinkt war. Maggie hatte nicht einmal gesehen, wie das Sicherungskabel sich an Kesnicks Helm verhakte. Blitzschnell zog sie sich an seinem straff gespannten Gurt auf die Füße.
Sie hörte, wie Wilson und Ellis sich etwas zubrüllten. Keiner von beiden wusste, was eigentlich passiert war. Maggie konnte die beiden nicht sehen, vergeudete aber keine kostbare Zeit, um Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Schnell griff sie nach Kesnicks Gurt und zog mit aller Kraft daran.
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