Knochenpfade
Es reichte, um ihn wieder in den Helikopter zu ziehen. Doch das Sicherungskabel, an dem sein Helm festhing, zerrte ihn immer wieder in Richtung der Türöffnung.
Kesnick schrie vor Schmerzen auf. Einen kurzen, schrecklichen Moment lang fürchtete Maggie, er könnte sich das Genick gebrochen haben. Sie musterte den Verlauf des Kabels von der Stelle, an der es sich im Helm verfangen hatte bis zur Halterung über der offenen Tür. Das Sicherungskabel konnte sie nicht erreichen, aber seinen Helm bekam sie zu fassen. Sie kämpfte mit dem Kinnriemen, versuchte sich zu erinnern, wie man ihn öffnete.
Wilson und Ellis brüllten immer noch kopflos durcheinander. Plötzlich drehte sich der Hubschrauber und schaukelte. Kesnick wurde zurückgeschleudert. Er landete mit dem Kopf direkt in Maggies Magengrube. Mit dem unbehelmten Kopf. Gott sei Dank. Maggie sah, wie das Sicherungskabel wegschnappte und Kesnicks Helm aus der Tür schleuderte.
Sie hielt sich an einem Ledergurt fest, der an der Kabinenwand befestigt war, als der Helikopter erneut schwankte und sie Richtung Tür zu rutschen drohte. Wilson stieß eine Reihe von Flüchen aus, bevor er ihn wieder unter Kontrolle brachte und ruhig hielt.
Kesnick war erstaunlicherweise schon wieder auf den Beinen.
“Ist alles in Ordnung, Mann?”, rief Ellis.
Aber ohne den Helm konnte Kesnick ihn nicht hören und reagieren. Stattdessen stürzte er zurück zur Türöffnung, nachdem er sich mit dem Gurt gesichert hatte, der immer noch am Bodenseil befestigt war. Er lehnte sich hinaus, um nach Bailey zu sehen. Maggie hatte die Rettungsschwimmerin für einen Moment völlig vergessen. Hing sie etwa da draußen immer noch am Seil? Kesnick griff nach dem Sicherungskabel, riss daran und kämpfte mit der Schlaufe, die sich über dem Haken gebildet hatte, bis sie sich löste. Irgendwie hatte er es geschafft.
“Was ist mit der Rettungsschwimmerin?”, schrie Ellis in Kesnicks Richtung.
Der Sturm heulte durch die Kabine des Helikopters. Das Wummern der Rotoren und das Hämmern ihres Herzens machten es Maggie schwer zu verstehen, was Ellis sagte. Kesnick, ohne Helm nicht mehr ans Kommunikationssystem angeschlossen, konnte unmöglich etwas hören.
Maggie hielt sich weiterhin an den Lederriemen fest und richtete sich auf. Mit der freien Hand nahm sie Baileys Flughelm und tippte Kesnick damit auf die Schulter. Er warf ihr einen überraschten Blick zu, dann nickte er, nahm den Helm, stülpte ihn über und rückte das Mikrofon zurecht.
“Liz wurde von einem Seitenwind erfasst!”, rief Kesnick. “Sie dreht sich.”
“Verflucht noch mal”, schimpfte Wilson.
“Ich zieh sie wieder hoch”, sagte Kesnick, der sich bereits dafür postierte.
Sekunden später hatte er Bailey wieder in die Hubschrauberkabine zurückgezogen.
Maggie reichte der jungen Frau ihren eigenen Helm. Dann lehnte sie sich gegen die Kabinenwand, den Ledergurt fest in den behandschuhten Händen. Sie bemerkte, wie ihre Hände zitterten. Die Unterhaltung konnte sie jetzt nicht mehr verfolgen. Sowohl Kesnick als auch Bailey wirkten bemerkenswert ruhig.
Es schienen noch nicht einmal zwei Minuten vergangen zu sein, da reichte Bailey ihr den Helm zurück und setzte wieder ihren leichten Schwimmhelm auf. Bei dem kurzen Tausch sah Maggie ihr in die Augen. Sie konnte kein Zaudern darin entdecken, keine Angst.
Bailey rutschte auf die Türöffnung zu. Sie wartete, bis Kesnick ihr aufs Schlüsselbein tippte, und hob die Daumen. Erstaunt beobachtete Maggie, wie sich die junge Rettungsschwimmerin wieder aus dem Helikopter herunterließ.
19. KAPITEL
Militärflugbasis Pensacola
Benjamin Platt starrte auf das Gesicht des toten Jungen. Laut seiner Patientenkarte war er neunzehn, aber er sah viel jünger aus. So bloßgelegt, ohne Kleidung und ohne seine Lebendigkeit, wirkte sein blassgrauer Körper viel schmaler. Die Beinprothese ließ ihn besonders verletzlich wirken. Es zermürbte Platt, wenn er daran dachte, dass dieser mutige Junge Afghanistan und seine Kampfwunden überlebt hatte, nur um zu Hause von dieser mysteriösen Krankheit niedergestreckt zu werden.
Platt stand, wieder in Schutzkleidung, neben dem Autopsietisch aus Edelstahl. Er studierte noch die Patientenkarte, als er merkte, dass Dr. Anslo, der Pathologe, auf ihn wartete. Er hatte seine fast unsichtbaren Augenbrauen hochgezogen, die aber unter dem kahlrasierten Schädel und der glatten Kinnpartie als einziger Gesichtszug hervortraten. Er hielt die Hände, über die er
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