Knochenpfade
umgehen.
Sein Handy klingelte zweimal und verstummte. Er blickte auf das Display.
“Mein Fahrer ist hier.” Aber er rührte sich nicht von der Stelle. “Ruf mich an. Oder schick mir eine SMS. Lass mich wissen, dass es dir gut geht.”
“Auf jeden Fall. Und du auch, ja?”
Er nahm seinen Seesack und warf ihn sich über die Schulter. Er war schon auf dem Weg zur Tür, da drehte er sich plötzlich noch einmal um.
“Zum Teufel, was soll’s”, murmelte er. Mit drei Schritten war er bei ihr und küsste sie. Eine Hand in ihrem Nacken, mit der anderen hinderte er den Seesack daran, ihre Schulter zu rammen.
“Bitte versprich mir, dass du wirklich auf dich aufpasst, Maggie O’Dell.”
Sie war froh, dass er ein bisschen atemlos klang. Als er zurück zur Tür ging, klingelte schon wieder ein verfluchtes Handy. Es war Maggies. Sie wollte es ignorieren.
Während Platt die Tür schloss, lächelte er ihr zu. “Du gehst besser ran.”
Sie schüttelte den Kopf, musste aber auch lächeln.
“Maggie O’Dell”, meldete sie sich.
“Hallo Ms. O’Dell, hier ist Lawrence Piper, Sie wollten mit mir sprechen.”
Platt hatte sie ganz durcheinandergebracht. Sie brauchte einen Augenblick, bevor ihr einfiel, wer Lawrence Piper war und weshalb er sie anrief.
“Sie wollten mich wegen einer Lieferung sprechen”, hakte er nach.
Wie konnte sie das jetzt am besten angehen? Es wäre sicher nicht ratsam, ihm zu berichten, dass sie seine Telefonnummer in einem Fischkühler voller Leichenteile gefunden hatte. Oder vielleicht doch?
“Es geht um die Lieferung nach Destin für den 24. August”, sagte sie schließlich, als ihr einfiel, dass der 24. gestern gewesen war.
“Das verstehe ich nicht. Ich habe Joe doch gesagt, dass wir Destin wegen des Hurrikans ausfallen lassen müssen.”
Er klang wie ein normaler Geschäftsmann. Sie war bisher nicht dazu gekommen, Recherchen zu Advanced Medical Technologies anzustellen. Aber da war nichts Geheimniskrämerisches oder Unheilvolles in seiner Stimme. In Verhören mit den besten Kollegen hatte Maggie gelernt, selbst so wenig wie möglich zu sagen. Das brachte die Gefragten dazu, umso mehr auszuplaudern. Sie wartete.
“Arbeiten Sie mit Joe zusammen?”, wollte Piper wissen.
“Ich gebe mir Mühe.” Sie versuchte diese Bemerkung möglichst unschuldig klingen zu lassen.
Piper lachte. “Ich habe ihm doch gesagt, dass er Unterstützung braucht. Hören Sie, Maggie. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Maggie zu Ihnen sage.”
Ein Geschäftsmann und ein guter Verkäufer, dachte Maggie.
“Überhaupt nicht.”
“Ich hatte Joe bereits versichert, dass wir ihn für diese Stornierung entschädigen. Ich habe ein paar Dutzend Chirurgen, die über den Labor Day zu einer Konferenz nach Tampa kommen. Dafür brauche ich mindestens zweiundzwanzig Halswirbelsäulen. Am liebsten intakt mit Hirn und Schädelbasis, wenn das möglich ist.”
Maggie dachte an die Körperteile aus dem Fischkühler, die alle einzeln in Plastikfolie verpackt gewesen waren. Sollte das so einfach sein? Die Lieferung eines Body Brokers? Soweit sie wusste, war an dieser geschäftsmäßigen Belieferung mit Präparaten aus echtem menschlichem Gewebe nichts Illegales. Die Bundesgesetze regulierten hauptsächlich den Organhandel. Nur wenige Staaten hatten eigene Gesetze, die darüber hinausgingen.
“Ich möchte Joe nicht als Geschäftspartner verlieren”, sagte Piper, als Maggie nicht antwortete. Offensichtlich hatte er ihr Schweigen als Missbilligung aufgefasst. “Können Sie ihm das bestellen? Er hat mich nicht zurückgerufen, und seine Handynummer hat sich offensichtlich geändert. Das ist wirklich eine ärgerliche Angewohnheit, die Ihr neuer Chef da an sich hat.”
“Ja, ich weiß. Er mag es lieber, selbst den Kontakt zu seinen Geschäftspartnern herzustellen.” Das überraschte sie gar nicht.
“Es ist nicht einfach, jemanden zu finden, der so viel Know-how besitzt und so zuverlässig ist. Und der vor allem liefert und alles vorbereitet. Würden Sie das weitergeben?”
“Ja”, sagte Maggie.
Als sie die Taste zur Beendigung des Telefonats drückte, fiel ihr auf, dass ihr ein Anruf entgangen war: Dr. Tomich.
Handel mit Körperteilen. Das ergab einen Sinn. Und das erklärte womöglich den identischen Fischkühler, den Liz Bailey hinter dem Bestattungsinstitut entdeckt hatte. Doch was es nicht erklärte, war das Verschwinden Vince Cofflands.
Maggie drückte die Rückruftaste.
“Tomich”, kam die
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