Knochenpfade
knappe Antwort. Er schaffte es, seinen Namen fast wie ein Schimpfwort klingen zu lassen.
“Hallo, Dr. Tomich. Hier ist Maggie O’Dell, Sie hatten mich angerufen.”
“Ach ja, Agent O’Dell.”
Bevor sie ihm sagen konnte, dass die Körperteile von einem Body Broker stammten, überraschte er sie mit der Bemerkung: “Es scheint, als würden Sie recht behalten.”
“Wie bitte?”
“Auf den Röntgenaufnahmen habe ich eine Patrone in Mr. Vince Cofflands Torso entdeckt.”
“Sind Sie sicher, dass es nicht Schrapnell ist? Ich denke, darum handelt es sich bei dem, was Sie in dem Fuß gefunden haben.”
“Nein, nein, nein. Es ist eine Kugel. Ich habe ihn mir noch mal vorgenommen und das Ding rausgeholt. Sieht aus wie von einer Handfeuerwaffe Kaliber 22. Der Eintrittskanal kommt von irgendwo unterhalb des Hinterhaupts und über den Halswirbeln.”
“Mit anderen Worten, man hat ihm von hinten in den Kopf geschossen.”
“So würde man es wohl umgangssprachlich ausdrücken, ja. Sie müssen wissen, dass ich nur spekuliere. Ohne Kopf und Hals haben wir keine Eintrittswunde. Aber aufgrund der Position der Kugel und des Kanals, den sie im Gewebe hinterlassen hat, würde ich mal schätzen, dass sich das Opfer gerade vornüber gebeugt hat, als es erschossen wurde.”
Wie eine Hinrichtung? ging es Maggie durch den Kopf. Sie behielt den Gedanken jedoch für sich, bedankte sich bei Dr. Tomich und beendete das Telefongespräch.
Vielleicht waren die Körperteile tatsächlich für eine Chirurgenkonferenz von AMET gedacht gewesen. Allerdings sah es so aus, als wäre Pipers zuverlässiger Geschäftspartner, der Body Broker Joe Black, auch ein Killer.
52. KAPITEL
Pensacola Beach
Charlotte Mills packte die letzte Plastikkiste und schleppte sie die Treppe hoch. Sie hatte all ihre wichtigen Dokumente in Sicherheit gebracht, Schmuck und Erinnerungsstücke wie zum Beispiel ihre Foto- und Bastelalben und ihre Sammlung von signierten Romanen. Die Sammlung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über das “vorzeitige Ableben” ihres Mannes oder, wie Charlotte es nannte, den Mafiamord an ihm, füllte allein eine Box.
Für die Bundesregierung war der Flugzeugabsturz ein Unfall, ein unglücklicher Motorschaden des Learjets, der George in Tallahassee absetzen sollte. Dort sollte er bei der Eröffnung eines Hauptverfahrens als Zeuge aussagen. Sie hatte George bereits Monate vorher gewarnt, dass es lebensgefährlich für ihn wäre, als Kronzeuge für den Staatsanwalt aufzutreten. Doch er hatte sich nicht davon abbringen lassen und meinte, es müsste so sein. Er sah es als eine Art Buße dafür, dass er diesen “Mistkerl von einem korrupten Politiker” bei den Wahlen unterstützt hatte. Letztendlich hatte nun dieser “Mistkerl von einem korrupten Politiker” seine Stellung behalten.
Das war fünfzehn Jahre her, und Charlotte Mills war bei ihrer unermüdlichen Suche nach der Wahrheit keinen Schritt weitergekommen. Vor fünf Jahren hatte sie aufgegeben. Oder jedenfalls empfand sie es so. Tatsächlich hatte sie all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Sie wollte nicht auch noch ihre letzten finanziellen Reserven verbrauchen. George wäre sicher wütend auf sie gewesen, wenn sie das getan hätte. Also hatte sie schließlich das Geld von der Lebensversicherung angenommen. Von der Versicherung, die George wenige Monate vor der Einberufung der Grand Jury abgeschlossen hatte.
Da hatte sie bereits ihren Job aufgegeben, um sich voll und ganz den Nachforschungen zu Georges Ermordung zu widmen. Es stellte sich als eine einzige große Zeitverschwendung heraus. Sie hatte den Fall endlich ruhen lassen und sich dieses Haus am Strand gekauft. Jetzt verbrachte sie ihre Zeit damit, jeden Tag die Küste entlangzustreifen und Muscheln zu sammeln. Und an den Abenden las sie all ihre wunderbaren Romane, wozu sie vorher nie gekommen war. Es war kein so schlechtes Leben, und daran würde auch kein Hurrikan etwas ändern.
Charlotte genoss noch eine lange heiße Dusche. Sie wusste, es könnte für die nächsten Wochen vorerst das letzte Mal sein. Dann zog sie sich bequeme Kleidung an. Ihr kurzes graues Haar band sie sich zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammen. Sie überprüfte ihre Liste, während sie alle Taschenlampen mit neuen Batterien versah. Sie füllte die Badewanne mit Wasser, ließ alle Waschbecken volllaufen und auch die Waschmaschine. Dann legte sie noch Wasserflaschen in den Gefrierschrank. Letzteres ein kleiner Trick, den sie beim vorigen
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