Knochenraub am Orinoko
fast schon etwas unterwürfig, fand Pedro. Aber eigentlich war es kein Wunder, schließlich hatte Humboldt Abasis Leben gerettet – ihrer beider Leben vielmehr.
In den langen Stunden nach Einbruch der Dunkelheithatte Abasi in seinem gebrochenen Spanisch, das er seit seiner Ankunft gelernt hatte, erzählt, wie er in Afrika geraubt und dann an Bord eines schrecklichen Sklavenschiffes gebracht worden war, wie er dort an Füßen gekettet mit Hunderten von weiteren Sklaven in einem unbelüfteten Zwischendeck wochenlang liegen musste und jeden Tag befürchtete, ersticken und verdursten zu müssen. Pedro schauderte, wenn er sich dies vorstellte, aber auch an seine eigene Vergangenheit in Spanien und an seinen jähzornigen Stiefvater dachte er nicht gerne zurück. Da war ihm die Fahrt auf dem Fluss mit den beiden verrückten Forschern viel lieber. Auch wenn sie ständig mit Aufzeichnungen und Vermessungen aller Art beschäftigt waren.
Während die Forscher auch jetzt über ihren Büchern hingen, beschloss Pedro, eine Runde schwimmen zu gehen. Mit einem Kopfsprung hechtete er ins Wasser und winkte, sobald er wieder aufgetaucht war, zu Abasi herüber: »Los, komm auch rein!« Doch der stand plötzlich aufrecht im Langboot und wedelte wie wild mit beiden Armen. »Warum denn nicht?«, schrie Pedro. »Das Wasser ist schön kühl.« Und wie zum Beweis tauchte er kurz unter und kam prustend und kopfschüttelnd wieder an die Oberfläche.Komisch, mittlerweile waren auch Humboldt und Bonpland von ihren Plätzen aufgesprungen und schrien etwas zu ihm herüber, aber Pedro verstand nur einzelne Worte: »Zurück … gefährlich … beißen … Piranhas … ganze Fleischstücke … Krokodile!« Pedro lauschte angestrengt und blickte erschrocken über die glatte Wasseroberfläche. Da sprang Abasi bereits ins Wasser und kraulte schnell zu ihm herüber.
»Du aus Wasser raus!«, rief er prustend. »Hier Krokodile und Piranhas.«
Pedro zuckte zusammen und sah sich schnell in alle Richtungen um. Piranhas – von diesen Fischen hatte ihm Humboldt erst gestern erzählt. In Schwärmen machten sie sich mit ihren messerscharfen Zähnen am liebsten über Tierkadaver her, aber lebendes Fleisch war ihnen bestimmt auch recht. Pedro zog unwillkürlich die Füße zu sich heran. Er befürchtete, jeden Moment einen schmerzhaften Biss an den Zehen zu spüren. Hilfe! Und da drüben – war das nicht der schuppige Rücken eines Krokodils? Auf einmal wirkte der Orinoko gar nicht mehr so langweilig wie zuvor.
»Schnell!« Abasi tauchte wieder ab und schwamm mit kräftigen Zügen auf die Piroge zu. Pedro ließ sichdas nicht zweimal sagen. Die Angst, dass jeden Moment ein gieriges Krokodilmaul aus dem trüben Fluss emporschoss, trieb ihn voran. Er kraulte so schnell wie noch nie in seinem Leben, erreichte die Piroge und zog sich mit aller Kraft über den Rand des Bootes. Dort blieb er erst einmal erschöpft liegen und schnappte nach Luft.
Humboldt beugte sich über ihn und schimpfte: »Das nächste Mal fragst du, bevor du dich einfach über Bord wirfst.«
Auf der anderen Seite tauchte das Gesicht von Bonpland auf. Sein Blick war weniger streng als der von Humboldt, dafür jedoch besorgter. »Hast du nicht die vielen Krokodile dort drüben auf der Sandbank gesehen?«
Pedro richtete sich auf und spähte in die Richtung, in die Bonpland zeigte. Tatsächlich, in nicht allzu weiter Entfernung lagen mindestens acht Krokodile, die reglos in der Mittagshitze dösten. Manche hatten ihr Maul in einem rechten Winkel aufgesperrt, als würde es von einem Haken offen gehalten. Sie waren vollkommen reglos, weshalb sich einige Vögel erdreisteten, auf ihren Rücken spazieren zu gehen.
»Die sehen aber nicht so aus, als hätten sie großen Hunger«, bemerkte Pedro trotzig.
»Kann nie wissen, Krokodile gefährlich. Können sich stellen wie tot!«, erklärte Abasi und blitzte Pedro aus seinen dunklen Augen an.
»Besser, du hörst auf das, was Abasi sagt. Der kennt aus seiner Heimat bereits die Gefahren des Dschungels«, belehrte ihn Humboldt und bedeutete den fünf Indianern im Bug der Piroge, dass sie weiterrudern sollten. Pedro glaubte, ein leicht spöttisches Grinsen auf ihren Gesichtern zu erkennen, als könnten sie über seine Unerfahrenheit und Dummheit nur die Köpfe schütteln.
Humboldt hatte die Indianer in Cumaná angeheuert. Sie waren allesamt recht klein, ihr pechschwarzes Haar war kreisrund geschnitten und lag wie ein Helm auf dem
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