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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelie Kister
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einer Hand in die andere wechselten.
    »Lasst ihn los!«, befahl Humboldt und kniete sich neben Pedro. Zu dem Sklavenjungen sagte er in mildem Tonfall: »Du bist frei, hörst du?«

    Pedro wechselte einen überraschten Blick mit dem Jungen. Doch ganz offensichtlich hatte dieser nicht verstanden, was geschehen war.
    »Sprich du mit ihm, Pedro! Vor dir hat er keine Angst. Sag ihm, dass ich ihn gekauft habe und ihm seine Freiheit zurückgebe.« Humboldt stand auf und wandte sich wieder an Don Vicente. »Ich brauche dringend Ihre Hilfe. Mein Gefährte ist überfallen worden und hat eine schwere Kopfverletzung davongetragen.«
    Pedro schenkte dem Gespräch der Männer keine weitere Beachtung. Er warf einen Blick auf die Sklaventreiber, doch diese kümmerten sich bereits um ihr nächstes Opfer. Zaghaft lächelte er den fremden Jungen an.
    »Komm. Steh auf!«, sagte Pedro, doch der Junge war immer noch so eingeschüchtert, dass er sich kaum zu rühren wagte. Wie sollte er ihm nur erklären, dass er frei war? Vielleicht konnte er ihn gar nicht verstehen?
    »Nichts wie weg hier«, versuchte es Pedro erneut und nahm die vor Angstschweiß feuchte Hand des Burschen und zog ihn auf die Füße. Pedro mussteein wenig zu ihm aufblicken, denn der Sklavenjunge war einen halben Kopf größer als er selbst. Offensichtlich war er zwei oder drei Jahre älter.
    »Humboldt hat dich gekauft. Aber er will dich gar nicht als Sklaven behalten. Du bist frei, verstehst du? Frei!«, redete Pedro fast schon beschwörend auf ihn ein.
    »Frei?«, murmelte der Junge leise, doch klang er dabei keineswegs froh oder erleichtert.
    Er freut sich nicht, dachte Pedro verunsichert. Vielleicht weiß er einfach nicht, wo er jetzt hinsoll? Pedros Gedanken überschlugen sich, als er in das dunkle Gesicht des Jungen blickte. Woher er wohl kommt? Ob er überhaupt noch Eltern hat? Oder Geschwister? Vielleicht ist er ganz allein?
    »Ich bin Pedro«, erklärte er in vertraulichem Ton und klopfte sich dabei selbst auf die Brust, »vielleicht kommst du erst mal mit uns, danach können wir immer noch weitersehen«, schlug er vor, insgeheim hoffend, dass Humboldt dazu bereit war, sich um den Jungen zu kümmern. Ihn selbst hatte er ja auch aufgenommen. Warum sollte er es nicht noch ein zweites Mal tun? »Du kannst bestimmt bei uns bleiben, ganz bestimmt.« Pedro drückte ihm aufmunternd den Arm.
    »Wie heißt du?«, fragte Pedro.
    »Abasi«, antwortete der Junge und zum ersten Mal huschte ein Hauch von einem Lächeln über seine Lippen.

Eine grüne Hölle

    Pedro konnte seine Angel nicht ruhig halten. Immer wieder schlug er mit der Hand wild um sich, um die hungrigen Mücken zu verscheuchen. Seine Haut war bereits mit unzähligen Stichen übersät, sodass er wie ein Streuselkuchen aussah! »Warum wirst du von diesen Mistviechern nie gestochen?«, protestierte Pedro und warf einen wütenden Blick auf Abasi.
    Der saß grinsend auf dem Boden ihres Langbootes und ließ die Beine ins Wasser baumeln. »Ich nicht schmecken so gut wie du!«, entgegnete er triumphierend. »Für Moskitos ich nix Neues, kennen mich schon aus Afrika.«
    Nachdem sich Bonpland in Cumaná von seiner Kopfverletzung erholt hatte, waren sie zu viert an diesen mächtigen Fluss aufgebrochen. Nun ruderten sie schon seit Tagen in einer langen, schmalen Piroge auf dem Orinoko stromaufwärts. Die Ausmaße des Flusses waren gewaltig. Er war so breit wie ein See und zu beiden Seiten wuchsen kirchturmhohe Palmen, die wie eine grüne Wand das Wassersäumten. Trotzdem boten weder der Fluss noch der Dschungel während der stundenlangen Bootsfahrt eine große Abwechslung. Pedro seufzte. Irgendwie hatte er sich den Urwald aufregender vorgestellt. Stattdessen war es vor allem am Tage einfach nur still und unerträglich heiß. Die Sonne hing meist hinter einer milchigen Wolkenschicht, aus der es am späten Nachmittag und Abend wie aus Kübeln goss. Und das Orinokowasser stank in Ufernähe wie ein Misthaufen: modrig, faulig, süßlich.
    »Die Hitze scheint dir ja auch nichts auszumachen«, stöhnte Pedro und zog sich das verschwitzte Hemd über den Kopf.
    »In Afrika auch viel heiß«, erwiderte Abasi, ohne den Blick von seiner Angelspitze zu nehmen, die sich immer noch nicht bewegte. Humboldt und Bonpland hatten sich schnell dazu bereit erklärt, auch Abasi mit auf ihre Reise zu nehmen. Zumindest für die ersten Wochen, in denen sie den Orinoko erkunden wollten. Abasi war ihnen äußerst dankbar, ja manchmal vielleicht

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