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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelie Kister
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Kopf.
    »Weißt du, was die Indianer vorhin gesagt haben?«, fragte Bonpland.
    »Was denn?«, fragte Pedro zurück und beobachtete, wie sie allesamt die löffelförmigen Ruder in die Hand nahmen und ihren einförmigen Gesang wieder anstimmten.
    »Als du in den Fluss gesprungen warst und Abasi wegen dir Alarm geschlagen hat, haben sie nur gleichgültig mit den Schultern gezuckt und gesagt: ›Der gehört dem Tikitiki‹«, berichtete Bonpland.
    »Dem was?« Das Wort kannte Pedro nicht.
    »Dem Geistervogel Tikitiki«, erklärte Bonpland. »In ihrer Vorstellung ist er der Feind der Menschen. Das, was in unserem Glauben der Teufel ist.«
    »Der Tikitiki gehört dem Totenreich an«, warf Humboldt erklärend ein. »Bei den Indianern ist es so üblich, dass man dem lebenden Kameraden hilft. Doch wenn einer dem Tode nahe scheint, so lässt man ihn fallen. Er gehört nicht mehr in das Reich der Lebenden.«
    »Aha«, sagte Pedro nachdenklich. »Für sie war ich also schon so gut wie verloren?«
    »Genau«, schloss Bonpland. »Deshalb hat auch keiner Anstalten gemacht, zu dir hinüberzurudern.«
    Abasi grinste: »Du schon fast bei Tikitiki.«
    »Na, das ist ja zum Glück noch mal gut gegangen. Auf die Bekanntschaft mit Tikitiki kann ich gerne noch eine Weile verzichten«, sagte Pedro und ließ sich auf die Sitzbank fallen.
    »Wir sollten zusehen, dass wir heute noch ein gutes Stück vorankommen«, meinte Humboldt. »Nach meinem Plan liegt die nächste Mission noch mindestens drei Tagesreisen weiter im Süden. Und wenn wir mal wieder ein saftiges Stück Fleisch essen wollen, sollten wir so schnell wie möglich dorthin kommen.«

Kopflose Rayas und andere Schreckgestalten

    Wie Pedro noch häufiger erleben sollte, wurden Stunden der Langeweile schneller unterbrochen, als ihm lieb war. Und wenn es nur durch ein plötzliches Unwetter geschah, das sich jäh über ihnen zusammenbraute wie in diesem Augenblick. Niemand hatte es kommen sehen. Plötzlich verdüsterte sich der Himmel und grelle Blitze fuhren aus den pechschwarzen Wolken. Sekunden später krachte es, lang anhaltende Donner dröhnten über dem Wald, und es fing an, wie aus Kübeln zu schütten. Heftige Sturmböen peitschten das Flusswasser. Binnen Sekunden waren sie alle nass bis auf die Haut.
    »Anlegen!«, schrie Humboldt über das Toben des Sturmes hinweg.
    Bonpland stopfte hektisch die mühsam getrockneten Pflanzen in eine umhängbare Blechtonne und krabbelte nach vorn zu den Indianern, die weiterruderten, als hätten sie dem Gewitter den Kampf angesagt. »Hört ihr nicht«, brüllte er, »raus aus dem Wasser, bevor uns der Blitz trifft   …«
    Die letzten Worte verloren sich in einem erneuten Krachen. Das Boot tanzte gefährlich auf den Wellen und Wasser schwappte herein. Ein solches Unwetter hatte Pedro noch nicht erlebt, er klammerte sich noch fester an die Bordkante und hoffte, dass sie hier rauskamen, bevor sie alle über Bord gespült wurden. Anstelle einer Antwort deutete der Indianeranführer mit dem Arm voraus und paddelte anschließend noch energischer. Humboldt, der mittlerweile knöcheltief im Wasser stand, hob verzweifelt die Hände. »Warum rudern die immer weiter und weiter? Bonpland! Nun sagen Sie doch diesen Selbstmördern, dass wir ans Ufer müssen. Und zwar sofort!« Er stampfte wütend mit dem Fuß auf, sodass das Wasser an seinem Bein hochspritzte.
    Doch die Indianer kannten die Umgebung und hatten ihr Ziel bereits vor Augen. Nach einigen weiteren Hundert Metern steuerten sie endlich das Ufer an. Unter dem dichten Regenvorhang erkannte Pedro eine bräunliche Gestalt, die ihnen beim Anlegen half.
    »Das ist Don Ignacio«, stellte der Anführer der Indianer den Fremden vor.
    »Wer?   – Der da?«, fragte Bonpland keuchend und deutete mit dem Kopf zu dem nackten Mann, derwie die Ruderer ein Indianer zu sein schien und kein
Don
, was die spanische Anrede für
Herr
war.
    »Ja, ja«, versicherte ihnen der Anführer und nickte beflissen, »er ist von Beruf Jaguarjäger. Er hat hier sein Gut und wird uns für die Nacht beherbergen.«
    Don Ignacio, der der Erklärung des Anführers gelauscht hatte, grinste breit. Er verbeugte sich leicht vor Humboldt und Bonpland und begrüßte sie, als hätte er sie bereits erwartet. Dann folgten sie ihm in seine Unterkunft.
    »Das soll ein Gut sein?«, raunte Pedro Abasi zu, dabei schaute er sich in der notdürftigen Behausung um. Sie sah nicht viel anders aus als das Nachtlager, das sie sich Abend für Abend am Ufer

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