Knochenraub am Orinoko
des Orinokos aufbauten. Es war eine kreisrunde, aus Bambus gebaute Hütte, die im Schutz der hohen Bäume stand. Das Dach bestand aus übereinandergeschichteten Palmenblättern, und obwohl draußen der Sturm weitertobte, war es in der Hütte trocken. Pedros neugieriger Blick wanderte weiter. An den stabilen Bambusstäben waren verschiedene Hängematten befestigt, dann fiel sein Blick zu Boden. Er erschrak.
Abasi, der Pedros Zusammenzucken bemerkt hatte, grinste und klopfte ihm freundschaftlich aufdie Schulter. »Sind schon tot, nix mehr gefährlich!«, flüsterte er amüsiert.
Auf dem Lehmboden ausgebreitet lagen verschiedene, dunkel glänzende Jaguarfelle, die Don Ignacio wohl auf seiner Jagd erbeutet hatte. Am beeindruckendsten war, dass noch alle Köpfe an den Fellen waren. Von allen Seiten bleckten ihn weiße Jaguargebisse an, als wollten sie jeden Moment ihre scharfen Eckzähne in seine nackten Füße schlagen.
»Bitte, die Herren. Setzen Sie sich.« Don Ignacio forderte die vier auf, sich auf große Schildkrötenpanzer zu setzen, die offenbar die Ehrenplätze für feine Gäste waren.
»Hoffentlich leben die auch nicht mehr!«, flüsterte Pedro zurück, während er sich neben Abasi auf einem Schildkrötenpanzer niederließ und sich vorstellte, wie die Schildkröte gleich ihren Kopf ausfahren könnte, um genüsslich an seinen Zehen zu knabbern.
Die Indianer suchten sich in unmittelbarer Nähe des großen Feuers einen Platz auf dem Boden, wo auch Frau und Kinder von Don Ignacio saßen. Im Übrigen waren sie nicht die einzigen Gäste des Jaguarjägers. Tief gebeugt, als wollte er sich in seinem Mantel verkriechen, hockte ein Mann mit kahlgeschorenem Kopf auf einem der großen Panzer. Er hatte einen stattlichen, grauen Bart, der bei jedem Zug aus der langen Pfeife, an der er genüsslich sog, auf und ab wippte.
»Darf ich vorstellen?«, fragte Don Ignacio und verbeugte sich ehrerbietig vor dem Mann in dem blauen Mantel. »Bruder Bernardo Zea, Pater der Mission an den Katarakten – den Wasserfällen von Atures und Maipures.«
»Ein Pater?«, staunte Pedro. »Aber hier gibt es doch gar keine Kirche.« Humboldt und Bonpland mussten über Pedros verblüfften Einwurf lachen.
»Natürlich gibt es Kirchen in den Missionen«, empörte sich Pater Zea. Er saugte an seiner langen Pfeife. »Nun gut, sie sehen nicht viel anders aus als die Hütten der Indianer – trotzdem, es sind Kirchen.«
»Und da gehen die Indianer jeden Sonntag hin?«, fragte Pedro weiter. Er versuchte sich vorzustellen, wie die halb nackten Ureinwohner mit dem Gebetbuch in der Hand vor dem Altar knieten. Mit Schaudern dachte er daran, wie er Sonntag für Sonntag in seinem besten Anzug neben seinem Stiefvater in der Kirchenbank beten musste.
»Nicht nur sonntags«, widersprach Pater Zea. »Jeden Morgen lese ich mit den Indianern unterfreiem Himmel die Messe und du kannst mir glauben«, er warf einen verstohlenen Blick auf die indianischen Ruderer, die untereinander leise tuschelten, »hier gibt es viele Seelen, die in freier Wildnis hausen und die Worte unseres Herrn Jesu Christi noch nicht vernommen haben.«
»Genug geredet«, unterbrach Don Ignacio das Gespräch, »jetzt wird gegessen.« Das hörte Pedro gerne. Die ganze Zeit schon hatte ihn der herrliche Duft von gebratenem Fleisch in der Nase gekitzelt. Endlich war es so weit. Kaum wurden die riesigen Fleischstücke, Kochbananen und Kassavekuchen auf großen Bananenblättern gereicht, da kam Leben in Pater Zea. Er rückte sich erwartungsvoll auf dem Schildkrötenpanzer zurecht, leckte sich mit der Zunge über die Lippen und griff gierig als Erster zu.
»Ah, Wasserschwein, köstlich«, grunzte er und riss ein faseriges Stück Fleisch vom Knochen.
»Greifen Sie zu! Bei Don Ignacio soll keiner hungern«, brüstete sich der stolze Gastgeber. Schon bald hörte man ein genüssliches Schmatzen in der Runde, unterbrochen von gelegentlichen Rülpsern des gefräßigen Paters.
Nach einer Weile, in der sie schweigend gegessen hatten, sagte Don Ignacio unvermittelt: »Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Kehren Sie um! Die Gegend ist nichts für Unerfahrene und erst recht nichts für Kinder.« Dabei deutete er mit einem abgenagten Knochen auf Pedro und Abasi. Pedro, der seine Zähne gerade genießerisch in eine weitere Keule Fleisch schlagen wollte, hielt inne.
»Wie bitte?« Humboldt entfuhr ein heller Lacher. »Wieso denn das?« Scheinbar nahm er den Jaguarjäger nicht ganz für voll. Aber
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