Knochensplitter
einem weißen Leichensack aus dem Zimmer transportierten. Er zupfte ein Foto von der Wand über dem Bett – Davina in edlem Schwarz-Weiß, posierend vor einem riesigen Maschinenteil. »Sie war wirklich hübsch. Also, nicht dass es okay gewesen wäre, wenn sie ein hässliches Entlein gewesen wäre, aber … weißt schon.« Er hielt Logan das Foto hin. »Müssen wir ihre Eltern benachrichtigen?«
»Kommt drauf an, wo sie herkommt.« Logan drehte das Foto um. Vier Klümpchen Blu-Tack klebten in den Ecken und rahmten einen lasergedruckten Aufkleber ein: » SELBSTPORTRAIT, S/W, 18–55MM 1/80S, BLENDE 4 – MASCHINENPARK, INDUSTRIEGEBIET WELLSHEADS «, dazu ein Zeit- und Datumsstempel. »Ist doch irgendwie auffallend praktisch.«
»Was – autoerotische Asphyxie? Wär nicht so mein Ding.«
»Nein, du Idiot – ich meine, dass zwei von Craig Petersons Freunden innerhalb einer knappen Woche zu Tode kommen. Bruce Sangster nimmt eine Überdosis und zieht sich eine Tüte über den Kopf, Davina Pearce hat einen ›Sexunfall‹.«
»Ich hab gehört, dass jedes Jahr um die sechzig Leute beim Würgewichsen draufgehen. Diese Dödel. Ein Druck von einem halben Kilo auf den Quadratzentimeter genügt, um die Halsschlagader kollabieren zu lassen, und schon bist du weg. Ist so, echt.«
Logan klebte das Foto wieder an die Wand. Davina Pearce hatte ein gutes Auge für Licht und Schatten gehabt, und sie schien sich besonders auf düstere Schwarz-Weiß-Stimmungen spezialisiert zu haben. Ein wiederkehrendes Motiv waren Szenen städtischen Verfalls – Mietskasernen mit vernagelten Fenstern, rostende Autos, Müllcontainer, aus denen bizarre Trümmerteile ragten, durchhängende Maschendrahtzäune, eine zerbrochene Flasche, Sonnenuntergang über einem ausgebrannten VW .
Auch die Portraits waren nicht übel, aber sie besaßen nicht die gleiche Intensität wie die Landschaften und die Stillleben. Allerdings hatte Davina sich immer wieder gerne selbst ins Bild gesetzt. Es gab ein Foto von ihr in Jeans und BH , auf dem sie in irgendeinem verfallenen Gebäude über die Schulter in die Kamera blickte. Die Wände waren mit Graffiti bedeckt, die Bodendielen mit Lichtflecken getüpfelt. Kunstvoll und zugleich ein wenig unheimlich. Ein Tattoo prangte auf ihrer Schulter – ein feuerspeiender chinesischer Drache … Samantha hätte das gefallen.
Logan nahm das Foto von der Wand.
Er hatte sie heute noch nicht im Krankenhaus besucht. Hatte noch nicht den Mut aufgebracht, sich in dieses kleine Zimmer zu setzen und den Maschinen zuzuhören, die für sie atmeten. Ihre kalte Hand zu halten und so zu tun, als würde alles wieder gut werden.
So erging es einem, wenn man ein totaler Versager war. Wenn man die Menschen, die man liebte, nicht beschützen konnte. Wenn man nicht einmal die Dreckschweine finden konnte, die dafür verantwortlich …
Er starrte das Foto in seinen Händen an, und er merkte, wie seine Augen sich weiteten.
Vielleicht war er doch nicht der totale Versager.
Logan drehte das Bild um. Und dort, zwischen den Blu-Tack-Flecken, klebte ein weiterer Sticker: » SELBSTPORTRAIT, S/W, 18–55MM 1/2S, BLENDE 16 – STILLGELEGTES INDUSTRIEGEBÄUDE, GEWERBEGEBIET FARBURN «.
Er sammelte alle Außenaufnahmen ein und verglich die Zeitangaben auf den Aufklebern mit der auf dem ersten Foto.
Es gab nur eines, das in etwa zur gleichen Zeit aufgenommen worden war: ein hohes, mit einem Vorhängeschloss gesichertes Tor vor einem grauen Klotz mit vernagelten Fenstern und einem dieser großen Schwingtore, durch die man mit einem Gabelstapler fahren konnte. Der Name der Firma war teilweise von einer Birke verdeckt, die durch den Zaun wuchs. Aber das spielte keine Rolle. Sie mussten einfach nur so lange durch das Gewerbegebiet fahren, bis sie das Gebäude auf dem Foto gefunden hatten.
Er drückte Rennie die Aufnahme von Davina in dem graffitiverschmierten Raum in die Hand. »Kommt dir der Hintergrund bekannt vor?«
Der Constable beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. »Doch … Äh, nein. Irgendwie …?«
»Ich geb dir einen Tipp: Denk an das Video, in dem Jenny McGregor die Zehen abgeschnitten bekommt.«
50
Bei jedem Schritt ist es, als ob jemand ihr einen brennenden Eiszapfen in die Füße rammt, aber sie beißt die Zähne zusammen und schluckt die Schreie hinunter, behält sie tief in sich drin, wo sie kochen und brodeln können.
Mami hält den Finger an die Lippen und macht »Schhhhhhhh«. Dann macht sie die Tür auf, ganz langsam und
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