Knochenzeichen
Nachmittag, als Cait ihren Wagen in Richtung McKenzie Bridge lenkte. Sie hatte zuerst die Geschäfte aufgesucht, die auf Livingstons Kreditkartenabrechnung aufgetaucht waren, zwei Souvenirläden in Sisters. Wie erwartet, war es nahezu unmöglich, im Gedächtnis der Leute die Erinnerung an einen Touristen wachzurufen, der vor über drei Jahren bei ihnen eingekauft hatte. Unter den Angestellten in den Läden hatte ein reger Wechsel geherrscht. Und keiner von denen, mit denen sie gesprochen hatte, hatte Livingston auf dem Foto wiedererkannt.
Es war kaum anzunehmen, dass sie in McKenzie Bridge mehr Glück haben würde, dennoch war sie fest entschlossen, die Befragungen noch an diesem Tag durchzuführen. Sie hatte ohnehin noch ein paar der Einheimischen dort kennenlernen wollen, fiel ihr wieder ein, als sie hinter einem Kieslaster des County abbremsen musste. Dies war nun noch dringender geworden, seit sie herausgefunden hatten, dass Marissa Recinos sich hier in der Gegend aufgehalten hatte.
Cait hatte es an diesem Morgen endlich geschafft, Kontakt zu einem gewissen Detective Mark Holder in Nevada aufzunehmen, und konnte dessen Vermisstenfall nun definitiv ausschließen. In jüngster Zeit waren neue Beweise ans Licht gekommen, und damit stand Gary Smiths Frau unter dem Verdacht, ihren Mann ermordet und ihn im familieneigenen Bestattungsunternehmen verbrannt zu haben. Was ein makabres Ende war, wie auch immer man es betrachtete.
Nach wie vor hatte sie keine Antwort von Sergeant Hal Cross aus Idaho erhalten, doch sie hatte ihm eine weitere Nachricht hinterlassen. Erneut überlegte sie, dass sie einen weiteren Blick auf die Liste mit Vermissten werfen musste, die sie zusammengestellt hatte. Zuerst hatte sie sich absichtlich auf Personen aus benachbarten Bundesstaaten konzentriert, doch nun war es an der Zeit, den Rahmen weiter zu fassen. Nach wie vor war schwer zu glauben, dass der Täter oder – falls ihre neueste Theorie zutraf – einer der Täter hunderte von Meilen gereist war, um die Opfer zu kidnappen. Doch der Täter erwies sich als wesentlich waghalsiger, als sie ursprünglich geglaubt hatte.
Da klingelte ihr Handy und wies auf eine neue SMS hin. Den Blick weiterhin auf die Straße gerichtet, kramte Cait in ihrer Tasche herum, bis sie das Telefon gefunden hatte. Es dauerte eine weitere Minute, ehe der Verkehr stark genug nachgelassen hatte, dass sie einen Blick aufs Display riskieren konnte.
Picknick bei mir heute Abend. richtiges Essen.
Sie ließ das Telefon fallen wie eine heiße Kartoffel. Offensichtlich hatte sich Andrews noch nicht bei Zach gemeldet. Es war zweifelhaft, ob er noch Lust haben würde, Einladungen auszusprechen, nachdem er ein paar Stunden in Sheriff Andrews’ Gesellschaft verbracht hätte. Cait konnte sich leider nur allzu gut ausmalen, wie er auf die Fragen reagieren würde, die Andrews auf ihn abfeuern würde.
Sie hatte von heute Morgen noch lebhaft in Erinnerung, was für ein Gefühl es gewesen war, die Adressatin von Andrews’ Verhörtechnik gewesen zu sein.
Nicht zum ersten Mal an diesem Tag dachte sie über Andrews’ Anspielungen auf ihre Objektivität nach. Ohne es zu wissen, hatte die Frau genau den Knopf gedrückt, der all ihre alten Selbstzweifel bezüglich ihres Urteilsvermögens gegenüber Männern wieder hochkommen ließ. Zweifel, wie sie sie in ihrem Beruf nie empfunden hatte. Zumindest auf diesem Gebiet ließen ihre Instinkte sie nicht im Stich.
Sie hatte Sharper ausgeschlossen, als sie das Profil erarbeitet hatte. Bevor sie mit ihm intim geworden war. Doch es war leicht, diese Schlussfolgerungen jetzt auf den Prüfstand zu stellen, wo sie die Fragen von Sheriff Andrews noch frisch im Gedächtnis hatte.
Statt eine Landkarte zurate zu ziehen, verließ sie sich auf die vertrauten Landmarken, um den Weg zurück nach McKenzie Bridge zu finden. Sobald sie den General Store vor sich sah, wusste Cait genau, wo sie sich befand, und nahm die nächste Abzweigung nach links in die kleine Stadt.
Andrews irrte sich in Bezug auf Sharper. Und es war Caits Expertenmeinung, die ihr das sagte, nicht ihre Gefühle. Selbst die sich allmählich herausbildende Theorie, dass sie mindestens zwei Täter suchten statt nur einen, schloss ihn in ihren Augen aus. Der Mann war ein Einzelgänger. Auch wenn offenkundig war, dass er Freunde hatte und bei den meisten Leuten in der Gegend beliebt war, war er nicht der Typ, der sich mit einem anderen zusammentun würde, um derart perverse Verbrechen zu
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