Knochenzeichen
verstand. Aber diese Höhle war die engste Verbindung, die sie zu dem Tatverdächtigen hatten, von den Knochen selbst abgesehen. Wie es der Natur von Caits Beruf entsprach, wurde sie so gut wie nie als Erste zu einem Tatort gerufen, ja nicht einmal zu einem Leichenfundort wie diesem hier. Doch sie bestand darauf, sich den jeweiligen Ort persönlich anzusehen. Es war die beste Methode, um ein Gefühl für den Fall zu bekommen.
Sie wandte sich um und machte sich bereit, sich an der Wand in die Kammer abzuseilen.
»Guter Gott. Warten Sie kurz.« Nach einem kurzen Moment tauchte Sharper vor ihr auf. »Am besten behalten Sie die Hände auf den Steinen, die hier oben rausschauen. Sehen Sie?«
Sie nickte. Sie hatte die Handhaltepunkte bereits entdeckt.
»Wenn Sie erst mal über den Rand hinaus sind, können Sie nach rechts fassen. Dort finden Sie einen weiteren Handhaltepunkt. Fahren Sie mit der linken Hand zu dem Stein hier.« Er beugte sich vor, und sie konnte seine Umrisse schemenhaft in der Finsternis ausmachen, während er auf die besagte Stelle zeigte. »Wenn Sie sich in diese Richtung drehen, finden Sie auf dem Weg nach unten zwei Fußhaltepunkte.«
»Sie sind da runtergestiegen?« Sie wusste, dass er unten gewesen war. Es stand im Bericht. Aber sie wollte seine Erklärung von ihm selbst hören.
»Warum sonst hätte ich die Cops rufen sollen?« Seine Äußerung hätte gelassen klingen können, wenn nicht dieser provokante Unterton gewesen wäre. »Ich konnte nicht genau erkennen, was da unten lag, abgesehen von ein paar Müllsäcken. Wenn es Müll gewesen wäre, hätte ich mir einen Weg überlegt, ihn von dort wegzubefördern. Dann hätte ich nämlich dem Kunden eine ziemlich imposante Höhle zeigen können. Aber ich hatte meine Zweifel, dass es Müll war.«
Sie nickte verstehend. Kein Mensch würde diesen Aufstieg auf sich nehmen, um illegal Müll abzuladen.
»Ich dachte, es sei ein geheimes Versteck für Diebesgut oder Drogen.« Das matte Licht von ihren Helmen ließ sein Gesicht im Schatten liegen und verwandelte es in eine Landschaft aus harten Ecken und Kanten. »Wir haben hier in der Gegend mit beidem so unsere Probleme. Aber nachdem ich erst einmal unten angelangt war, habe ich ein paar Knochen einzeln herumliegen sehen. Da wusste ich, dass ich auf etwas ganz anderes gestoßen war.«
Zum ersten Mal machte sie sich wirklich bewusst, wie es für ihn gewesen sein musste, da unten in diesem tiefen, finsteren Loch zu stehen. Umgeben von Säcken voller Knochen. »Muss ganz schön gruselig gewesen sein.«
In seiner Stimme klang etwas Endgültiges mit. »Hab schon Schlimmeres gesehen.«
Da offenkundig war, dass er nicht mehr sagen würde, konzentrierte sich Cait wieder auf den Abstieg. »Ich geh jetzt runter.« Sie legte die Hände an die Stellen, die er ihr empfohlen hatte, und tastete nach dem zweiten Handhaltepunkt. Sobald sie ihn gefunden hatte, bekam sie einen etwas uneleganten Abstieg hin. Als sie schließlich keinen Halt mehr für die Füße fand, ließ sie los und sprang den halben Meter bis zum Boden der Kammer.
»Okay?« Das Wort klang eher grollend als besorgt.
»Alles in Ordnung.« Die Lampe, die Sharper auf sie richtete, tauchte sie in einen Lichtkegel und schob die Dunkelheit ein Stück weg. Sie nahm sich die Zeit, erneut die Taschenlampe herauszuholen und damit den Raum auszuleuchten.
Die Wissenschaftlerin in ihr war fasziniert vom Gedanken an die physikalischen Kräfte, die diese Kammer ausgehöhlt hatten. Allerdings wusste sie nicht genug über die Gegend und konnte nur raten, ob Gletscher, Wasser oder Lava an ihrer Entstehung beteiligt gewesen waren.
Die Polizistin in ihr stellte anerkennend fest, wie perfekt dieses Versteck war. Es war, als hätte die Natur ein Grab ausgehöhlt, das auf seine Bewohner wartete, die nun vor wenigen Tagen wieder herausgeholt worden waren.
Die Luft war kühl, aber nicht unangenehm kalt. Sie streifte den Rucksack ab und kramte das Thermometer heraus. Sechzehn Komma zwei Grad Celsius. Die kühle Temperatur hätte die Verwesung aufgehalten, falls die Leichen in komplettem Zustand hier abgelegt worden wären. Aber nachdem sie den Aufstieg am Castle Rock hinter sich gebracht hatte, leuchtete Cait sofort ein, warum nur die knöchernen Reste hier gelagert worden waren.
Die Wände waren an manchen Stellen glatt, an anderen geriffelt. Der felsige Boden war leicht mit Sand bedeckt. Obwohl Cait sorgfältig alles mit der Lampe ableuchtete, sah sie keine anderen
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