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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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Flaschenboden, bis das Plastik brannte. Dann drehte William den Stock zur Seite und hielt die schmilzende Flasche über den Ameisenhügel. Zischend tropfte weißes Plastik auf die winzigen roten Ameisen.
    »Hör mal, Theodore«, meinte William beiläufig, »vergessen wir diesen Vietnam-Scheiß.«
    »Aber du hast doch gesagt, wir …«
    »Ich halt das nicht aus«, sagte er und hustete. »Du redest von nichts anderem.« Giftige Dämpfe umwirbelten sein verschwitztes Gesicht. Er wedelte mit der Hand wie mit einem Taschentuch, um den Plastikgestank zu vertreiben.
    »Fick dich«, sagte ich. »Such dir jemand anderen, den du rumkommandieren kannst.« Ich war der einzige Junge in ganz Knockemstiff, der überhaupt mit ihm redete, und das auch nur, weil meine Mom andauernd darauf bestand, dass ich mich nachbarschaftlich verhielt. Jedes Mal, wenn ich sie darauf hinwies, dass William mich wie Dreck behandelte, sah sie von dem, was sie gerade tat, auf und sagte: »Teddy, du hast keine Ahnung, was da drüben los ist. Wie ich schon sagte, tu wenigstens so, als ob William dein Freund wäre, und bevor du dich versiehst, ist er es auch.«
    Vielleicht war der Grund, warum meine Mutter gern »so tat als ob«, dass sie selbst so ein hartes Leben hatte. Als ich noch ein Baby war, fing sie an, in der Fleischverpackung in Greenfield zu arbeiten, und stopfte den ganzen Tag blutige Schweineknochen in Pappkartons. Sie roch immer nach Schwein, und ihre Fingerknöchel waren von winzigen entzündeten Schnittwunden ganz rot. Im Laufe der Jahre wurde sie eine inbrünstige Träumerin, wurde süchtig nach einer ganz bestimmten Art von Scheinwelt, und ich musste immer schwören, niemandem etwas davon zu verraten. Ständig suchte sie nach meiner nächsten Rolle, meistens in den billigen Detektivmagazinen, die sie sich von Maude Speakman lieh und vor dem Schlafengehen mit geradezu religiösem Eifer las.
    Beim ersten Mal hatte sie mir beim Abendessen von Richard Speck erzählt, hatte sich in allen Einzelheiten über die acht toten Krankenschwestern ausgelassen, während wir Mortadella-Sandwiches und Kartoffelchips aßen. Sie versuchte, es bedrohlich klingen zu lassen, aber als ich ins Bett ging, hatte ich alles schon wieder vergessen. Dann kam sie rein, setzte sich auf meine Bettkante, malte mir mit dem Kugelschreiber Tattoos auf die Arme und reichte mir eine Schere. »Hör mal, Teddy«, sagte sie, »tu mir einen Gefallen.«
    »Was denn?«
    »Weißt du noch, was ich dir über diesen Speck erzählt habe?«
    »Den unheimlichen Killer?«
    »Genau«, sagte sie. »Also, ich möchte, dass du in mein Schlafzimmer kommst und so tust, als ob du er wärst. Nur kurz.«
    »Und wie, Mom?«
    »Keine Ahnung. Spuck auf den Boden, rede wie ein betrunkener Seemann. Tu mir weh, aber nicht in echt.«
    Abgesehen von den schwarzen Pillen, die sie manchmal von ihrer Schwester Wanda bekam, schien Furcht das Einzige zu sein, das meiner Mutter das Gefühl gab, lebendig zu sein. Und weil ich mir so sehr wünschte, sie glücklich zu machen, wurde ich ein echter Könner darin, sie zu erschrecken. Albert DeSalvo war ihr Lieblingspsychokiller, in ihrem Schrank klebte ein Foto von ihm. Manchmal, wenn sie einen wirklich schlimmen Tag gehabt hatte, ging ich nach draußen, schnitt ein Loch durch ein Fensterfliegengitter, kroch hindurch, legte ihr eine Schlinge aus einer ihrer Strumpfhosen um den Hals und sagte ihr die ganze Zeit, ich sei der wahre Boston Strangler.
    Zu Anfang, als ich noch nicht so gut darin war, gab sie mir andauernd Ratschläge und wies auf Kleinigkeiten hin, die ich noch besser machen konnte. »Du musst an deinem Akzent arbeiten«, sagte sie dann, oder »du meine Güte, Teddy, ich konnte dich schon aus einer Meile Entfernung hören«. Eine solche Mutter hatte keine Schwierigkeiten sich einzubilden, William wäre mein Freund, das war nur ein weiteres ihrer Spielchen.
    Ich steckte die Streichhölzer ein, machte kehrt und wollte nach Hause gehen.
    »Wart mal, Theodore«, rief William. »Was, wenn wir so tun, als wären sie Riesen?« Er stand breitbeinig da und schwenkte die brennende Plastikflasche hin und her wie ein Weihrauchfass.
    Ich sah hinunter auf die wuselnden Ameisen, die ihre Festung verließen.
    Vergangene Woche hatte William darauf bestanden, sie wären afrikanische Pygmäen, und er hatte mich überredet, Cheetah zu sein, er selbst war Tarzan. Und nun das. »Tja«, meinte ich, »es gibt alle möglichen Arten von Riesen. King Kong, den Koloss oder

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