Knuddelmuddel
Schluss. Jetzt tut es einfach nur noch weh.
„Aua“, sage ich. „Au. Das tut weh“.
Er greift nach seinem Handy und ruft seine Frau an und kurze Zeit später ist sie da.
„Rute“, sagt er, „gut, dass du hier bist.“
Rute tastet mein Bein ab, mein Knie. Sie hat schöne kühle Hände, und an ihrer linken Hand ist der Ring, das Gegenstück zu dem Ring an der linken Hand des Mathematikers. Es handelt sich hier also wirklich um ein verheiratetes Paar. Rute zieht das blaue Kleid wieder zurecht.
„Nichts gebrochen“, sagt sie. „Alles in Ordnung.“
Alles in Ordnung? Alles in Ordnung fühlt sich meiner Meinung nach anders an.
„Sie werden natürlich eine Zeitlang an Krücken gehen“, sagt sie. „Das wird schon seine Zeit dauern, bis das heilt. Aber es ist nichts gebrochen“.
Sie nimmt mir die Sektflasche aus der Hand, hält sie unter den Mund der Statue und läßt sie mit Wasser vollaufen. Dann schüttet sie das Wasser auf mein Knie. Mmhh, schön kühl. Ja, das tut gut. Die beiden helfen mir aufzustehen, ich lege den Arm um ihre Schultern, einen Arm um Claudio, so heißt er nämlich, der Mathematiker, und den anderen um Rutes Schultern und die beiden gehen mit mir zum Gästehaus.
*
Manche Leute sind gerne Single. Ich gehöre nicht dazu. Das ist die Erkenntnis, die ich in den letzten Tagen auf meinem Sofa gewonnen habe. Ich lebe hier in meiner Wohnung wie unter Hausarrest. Das habe ich mir selber zuzuschreiben. Das kommt davon, wenn man auf der Hochzeit seines Ex in Sintra mit steinernen Statuen Sekt trinkt. Die Wohnung liegt im zweiten Stock und sie hat keinen Aufzug. Mit meinem Knie ist nichts Schlimmes, nichts wirklich Schlimmes, ich kann nur nicht laufen, die paar Schritte, die ich gehe, laufe ich an Krücken und ich muss und soll mir jeden Schritt überlegen. Das Knie braucht Ruhe.
Ruhe, Ruhe, Ruhe.
Das erfordert Geduld, Geduld, Geduld.
Ich stelle fest: Geduld ist nicht meine Stärke.
Ich habe natürlich immer gewußt, dass Geduld nicht meine Stärke ist. Aber jetzt darf ich das noch mal so richtig auskosten. Mann, ist das nervig! Das Bein muss hochgelegt werden. Nur dann wird das Knie heilen. (Trifft das Gleiche auf meine Seele zu? Womöglich. Hoffentlich).
Ich kann daher nicht ins Reisebüro gehen, ich bin krank geschrieben. Andrea sagt, das ist ein „secondary gain“, ein Sekundärgewinn. Etwas Positives, das aus etwas Negativem kommt. Das ist anscheinend der medizinische Begriff für Glück im Unglück und ich versuche, das auch so zu sehen, aber es ist nicht einfach. Jeder Schritt tut weh. Draußen scheint die Sonne und durch das geöffnete Fenster kann ich den Verkehr auf der Ferreira Borges hören.
„So, Menina Elke, hier ist ihr Tee“, sagt Dona Evelina.
Dona Evelina wohnt in der Wohnung über meinen, also im dritten Stock und das in ihrem Alter, sie ist bestimmt Ende siebzig, wie kommt sie da die Treppen rauf? Sie stellt die Teekanne auf den kleinen Tisch neben dem Sofa, es ist Ingwertee mit Honig und Zitrone, aus frischem Ingwer, und wenn er eine Weile steht, hat er eine wunderbare Schärfe, und es ist schon schön, so umsorgt zu werden (noch ein secondary gain). Dona Evelina geht noch mal in die Küche und bringt dann einen Teller mit Haferkeksen, die sie neben den Tee stellt.
Tom hat natürlich auch angeboten, mich zu versorgen, als er sah, in welchem Zustand ich nach Hause kam, beziehungsweise gebracht wurde. Von Claudio, Rute und dem Besitzer des Gästehauses. Der übrigens auch sehr nett ist. Und Vasco Duarte heißt. Er wirkt ein bisschen wie ein Gentleman aus einem englischen Agatha-Christie-Schwarz-Weiß-Film. Höflich und zuvorkommend, hilfsbereit und rücksichtsvoll. Zehn Jahre älter als ich. Und unverheiratet. Aber keine Magie. Nicht die Spur von Magie.
Tom hat sofort gesagt, er bleibt noch solange, bis ich wieder laufen kann, aber irgendwie wäre das ja auch komisch gewesen. Das wollte ich nicht. Er hat es immer wieder angeboten. Aber nein. Lieber nicht. Also hat er seine Sachen gepackt und ist wieder aus meinem Leben verschwunden. In einem Taxi. Zum Flughafen konnte ich ihn ja nicht bringen dieses Mal, mit meinem kaputten Knie. Ich habe am Fenster gestanden, auf meinen Krücken, und Tom ist in ein Taxi gestiegen und wieder aus meinem Leben verschwunden. Fast hätte ich mit der Krücke gewinkt. Aber dann habe ich doch die Krücke an das Fensterbrett gelehnt und die Hand gehoben.
„Soll ich Ihnen ein bisschen Musik anmachen?“, fragt Dona
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