Knuddelmuddel
noch heiß und leer, viele Lissabonner sind im Urlaub oder doch wenigstens am Strand in Cascais oder Caparica.
Evelina sagt, hier in der Rua Ferreira Borges hat es früher mal einen Second-Hand-Laden gegeben, dort konnte man richtig schöne Sachen finden, auch Abendkleider, dort brachten Botschaftsleute und andere reiche Lissabonner ihre Kleider hin. Weil man solche Sachen ja in dieser Szene nicht zweimal zu einer Veranstaltung anziehen kann, wenn man sich nicht lächerlich machen will. Plötzlich kann ich das verstehen, geht mir ja ähnlich mit meinem blauen Kleid. Evelina hat sich dort oft eingekleidet, sie sagt, sie hat dort einmal ein wunderschönes und praktisch nie getragenes Kleid von Ana Salazar gefunden. Ana Salazar, bekannte Lissabonner Designerin, nicht zu verwechseln mit Antonio de Oliveira Salazar, bekannter portugiesischer Ex-Diktator. In diesem Second-Hand-Laden hätte ich bestimmt was für meinen Opernabend in Madrid gefunden, aber leider gibt es den Laden nicht mehr. Also werde ich mein Glück im Amoreiras versuchen. Das Amoreiras ist ein Einkaufszentrum, entstanden in den achtziger Jahren, eigentlich das erste dieser modernen Einkaufszentren überhaupt. Das Amoreiras hat sogar Preise bekommen. Es gibt Preise für Einkaufszentren, und so wie der Lederhosenfritzi einen Preis für seinen Almkäse bekommen hat, hat der Architekt Tomás Taveira einen Preis für sein Shopping Center bekommen.
„Wie findest du es?“ Ich drehe mich vor Evelina, so gut man sich mit einem kaputten Knie eben drehen kann. Ich bin ganz in schwarz: schwarze Hose aus Seidencrepe, schwarzes Top aus Samt. Schwarze Jacke. Edel, edel, edel. Schwarze Schuhe. Ohne hohe Absätze natürlich. Den Fehler mache ich nicht noch mal. Und im Moment bin ich ja schon froh, wenn ich überhaupt auf flachen Schuhen laufen kann. Ich werde wohl an Krücken in die Oper gehen.
„Noch irgendwas Buntes dazu“, sagt Evelina. „Einen Schal oder so.“
Wenn ich Julia Roberts wäre, und mein Leben ein Pretty-Woman-Film, dann würde mir ein guter Engel natürlich die passenden Diamanten für den Abend um den Hals legen und ich kann es von mir selber nicht glauben, dass ich sowas überhaupt auch nur denke. (Ich bin wirklich altmodischer als ich dachte. Oder ist das das Alter? Und was ist mit meinem feministischen Spirit passiert? Oder schließen sich Feminismus und Schmuck garnicht per se aus? Gut, dass Andrea von all dem hier nichts weiß, die würde mich doch gleich wieder zu Ignatia verdonnern.)
„Hat er sich eigentlich schon gemeldet?“, fragt Evelina.
„Claudio?“, sage ich.
„Nein, der Weihnachtsmann“, sagt Evelina. „Natürlich Claudio, wer denn sonst.“
„Noch nicht“, sage ich.
„Aha“, sagt Evelina.
Was soll das denn heißen?
„Aber er wird sich schon noch melden“, sage ich mit mehr Zuversicht als ich empfinde.
„Ja“, sagt Evelina.
„Vielleicht hat er meine Nummer verlegt“, sage ich. „Oder verloren.“
„Nein“, sagt Evelina. „Hat er nicht.“
Ist aber schon ein bisschen komisch, Tag fünf nach der Treppenhausnacht und ich habe noch nichts von ihm gehört. Kein Besuch, kein Anruf, keine SMS.
Hat er mich vergessen?
Während ich hier praktisch durchgehend an ihn denke?
Das Ganze hat bei mir ein bisschen wie eine Zeitbombe gewirkt. Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr passiert mit mir irgendwas Merkwürdiges. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich denke andauernd an ihn. An den Abend. An unsere Gepräche. An sein Lächeln. Und dass wir doch nach Madrid wollen und La Bohème sehen, und wieso ruft er nicht an? Ich verstehe das nicht. Kann es denn sein, dass es an so einem Abend nur den einen erwischt? Und der andere unbeschadet aus der Sache rauskommt? Wie bei einem Autounfall, wo ein Auto einen Totalschaden hat (ich) und das andere Auto (Claudio) einfach unbeschädigt weiterfährt, als wäre nichts gewesen? Das ist jetzt ein doofes Beispiel, es hinkt, weil so ein Autounfall ist ja was Schlechtes und die Treppenhausnacht war was Gutes. Denke ich doch. Hoffe ich doch.
„Wir haben damals in der Schule von unserer alten Englischlehrerin ein Sprichwort gelernt“, sagt Evelina. „Willst du´s hören?“
Ich bin mir nicht sicher, sage aber trotzdem ja.
„A watched kettle never boils“, sagt Evelina. “Das heißt soviel wie: Ein Wasserkessel, den man beobachtet, kocht nie.”
Was sie mir damit sagen will, ist klar, aber es ist verdammt schwer, den Kessel nicht zu beobachten, wenn man so dringend
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